PraxisReport

Pressveröffentlichung: Christoph J. Burgmer zum Entgelttransparenzgesetz in “Computer und Arbeit”

Christoph J. Burgmer hat einen Beitrag zum Entgelttransparenzgesetz verfasst, der in der Zeitschrift “Computer und Arbeit” veröffentlicht wurde.

Einstweilige Verfügung auf Weiterbeschäftigung bei bisheriger Dienststelle

Die Entscheidung befasst sich mit der Frage der Zumutbarkeit einer Abordnung zu einer anderen Behörde als Erprobung auf der Grundlage von § 37a StUG. Außerdem wird zur Reichweite der Prüfungskompetenz des erkennenden Gerichts im vorläufigen Rechtsschutz Stellung genommen, wenn sich der Kläger auf die Verfassungswidrigkeit der Norm beruft, die zu einer ihn betreffenden Maßnahme (Versetzung) ermächtigt.


Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht, Christoph J. Burgmer, kommentiert ein Urteil des ArbG Berlin 16. Kammer, Urteil vom 01.07.2014 – 16 Ga 8789/14, in juris PR-ArbR 46/2014

Orientierungssätze

1. Eine Entscheidung, mit der ein Arbeitnehmer für die Dauer von sechs Monaten mit dem Ziel der Versetzung abgeordnet wird, ist nicht mangels Begründung rechtswidrig. Es handelt sich vielmehr um die Ausübung des arbeitgeberseitigen Weisungsrechts in einer besonderen Form, die nicht in der schriftlichen Weisung selbst begründet werden muss. Sie verstößt auch nicht gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz.

2. Ein Gericht, das eine für die Entscheidung maßgebliche Gesetzesnorm für verfassungswidrig hält, kann nicht durch Art 100 Abs. 1 GG gehindert sein, vor der im Hauptsacheverfahren einzuholenden Entscheidung des BVerfG vorläufigen Rechtsschutz zu gewähren, wenn dies im Interesse eines effektiven Rechtsschutzes geboten erscheint und die Hauptsache dadurch nicht vorweggenommen wird. Dies ist jedoch nur dann der Fall, wenn deutliche Anhaltspunkte für eine klar erkennbare Verfassungswidrigkeit der entsprechenden Norm bestehen.

3. Es ist Arbeitnehmern grundsätzlich zumutbar, einer arbeitgeberseitigen Weisung zunächst Folge zu leisten, auch wenn sie für rechtswidrig gehalten wird. Die Überprüfung der Weisung kann im Hauptsacheverfahren geltend gemacht werden, stellt aber keinen Verfügungsgrund für eine einstweilige Verfügung dar.

Die Entscheidung befasst sich mit der Frage der Zumutbarkeit einer Abordnung zu einer anderen Behörde als Erprobung auf der Grundlage von § 37a StUG. Außerdem wird zur Reichweite der Prüfungskompetenz des erkennenden Gerichts im vorläufigen Rechtsschutz Stellung genommen, wenn sich der Kläger auf die Verfassungswidrigkeit der Norm beruft, die zu einer ihn betreffenden Maßnahme (Versetzung) ermächtigt.

A.     Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Die Parteien streiten im vorläufigen Rechtsschutz um den Erlass einer einstweiligen Verfügung mit dem Inhalt, die beklagte Behörde des BStU zu verpflichten, den Kläger bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in dem Hauptsacheverfahren weiterhin als Verwaltungsangestellten in der Behörde zu beschäftigen. Er war bisher Mitarbeiter der Beklagten und dort als Pförtner eingesetzt und früher Objektschützer für das ehemalige MfS. Die Beklagte ordnete den Kläger für die Dauer von sechs Monaten zum BVA (Bundesverwaltungsamt) ab. Es wurde erklärt, die Abordnung erfolge mit dem Ziel der Versetzung. Eine weitergehende Begründung enthielt das Schreiben nicht. Der neue Einsatzort lag etwa 500 Meter vom bisherigen Arbeitsplatz des Klägers entfernt. Die Abordnung erfolgte auf der Grundlage des § 37a StUG, den der Gesetzgeber als eine Ergänzung des StUG im Jahre 2011 beschlossen hatte. Die Vorschrift regelt, dass die Beschäftigung ehemaliger MfS-​Mitarbeiter in der Stasi-​Unterlagenbehörde nicht erfolgen und die entsprechenden Mitarbeiter nach einer Zumutbarkeitsprüfung in andere Behörden versetzt werden sollten.

Der Personalrat und der Hauptpersonalrat der Beklagten hatten der ursprünglichen Abordnung von ehemaligen MfS-​Mitarbeitern nicht zugestimmt, so dass die Beklagte die Einigungsstelle anrief. Diese entschied, dass der Hauptpersonalrat seine Zustimmung nicht hätte verweigern dürfen. Die Einigungsstelle regte an, von einer Abordnung abzusehen, wenn der betroffene Beschäftigte bei Beginn der Maßnahme 63 Jahre und älter sei. Der Anregung folgte die Beklagte. Der Kläger wurde danach zu der beabsichtigten Abordnung angehört und hat sich schriftlich dagegen gewandt. Die Beklagte nannte danach dem Kläger ihre Gründe für ein Festhalten an der beabsichtigten Abordnung. Der Personalrat des BVA hat der Abordnung für die Dauer von sechs Monaten mit dem Ziel der Versetzung in das Bundesverwaltungsamt zugestimmt.

Der Kläger hält § 37a StUG für verfassungswidrig. Er meint, die Versetzung sei schon aus formeller Sicht unwirksam, da es an einer Begründung fehle, es gebe auch keine dienstlichen Gründe. Ihm könne eine Versetzung nicht zugemutet werden, da er ohnehin schon durch die Diskussion über die Verwendung ehemaliger MfS-​Mitarbeiter beim Stasiunterlagenbeauftragten derart gelitten habe, dass er erhebliche gesundheitliche Beeinträchtigungen habe, die durch die Durchführung der Abordnung noch verstärkt würden. Die Beklagte hält § 37a StUG für verfassungskonform. Dem Kläger sei zumutbar, bis zur Klärung der Rechtsfragen im Hauptsacheverfahren seine Tätigkeit aufzunehmen.

Das ArbG Berlin hat den zulässigen Antrag des Klägers als unbegründet zurückgewiesen.

Der Umstand, dass die Entscheidung, den Kläger abzuordnen, in dem Schreiben selbst nicht begründet worden sei, begründe nicht die Rechtswidrigkeit der arbeitgeberseitigen Weisung. Es handele sich vielmehr um die Ausübung des arbeitgeberseitigen Weisungsrechts in einer besonderen Form, die nicht in der schriftlichen Weisung selbst begründet werden muss, da hierfür die Grundsätze des Arbeitsrechtes und nicht des Verwaltungsrechtes gelten.

Eine Verfassungswidrigkeit von § 37a StUG könne im Eilverfahren nicht festgestellt werden, da deutliche Anhaltspunkte für eine evidente Verfassungswidrigkeit der Norm des § 37a StUG nicht klar erkennbar seien. Die Vorschrift sei vom Gesetzgeber beschlossen und vom Bundespräsidenten unterzeichnet worden, so dass es eingehender Prüfung bedürfe, ob eine solche, nach langer Diskussion gefundene Regelung mit dem Grundgesetz vereinbar sei. Diese eingehende Überprüfung sei in Ermangelung evidenter Anhaltspunkte für eine Verfassungswidrigkeit der anzuwenden Vorschrift dem Hauptsacheverfahren zu überantworten. Eine evidente Rechtswidrigkeit könne auch nicht festgestellt werden. Vielmehr habe der Kläger im Vorfeld seine Bedenken schriftlich geäußert, der Personalrat und der Hauptpersonalrat der Beklagten hatten mit umfangreicher Begründung der Abordnung widersprochen und die Einigungsstelle habe sich mit den Argumenten intensiv beschäftigt. Auch habe der Personalrat des BVA nach Prüfung seine Zustimmung erteilt.

Die Abordnung sei auch zumutbar. Zwar liege hier keine Versetzung vor. Die Abordnung sei aber als milderes Mittel in § 37a StUG mitenthalten. Im vorliegenden Fall habe sich die Beklagte zunächst bewusst für das mildere Mittel entschieden, um zu erproben, ob eine anschließende Versetzung auch tatsächlich zumutbar sei. So habe es in der Vergangenheit durchaus schon Fälle gegeben, in denen die Abordnung zurückgenommen worden sei. Die Versetzung als solche sei also mitnichten bereits beschlossen gewesen.

Der Umstand, dass die Beklagte die von der Einigungsstelle vorgeschlagene Altersgrenze beachte, sei sachgerecht. Die Verwendung einer Stichtagsklausel mache die Regelung nicht unwirksam. Solche Klauseln seien notwendig und bewegten sich im Rahmen des Ermessens der Behörde.

Schließlich sah das Gericht auch keinen Verfügungsgrund, sondern stellte fest, es sei Arbeitnehmern grundsätzlich zuzumuten, einer arbeitgeberseitigen Weisung zunächst Folge zu leisten, auch wenn sie sie für rechtswidrig hielten. Abweichungen von diesem Grundsatz würden von der Rechtsprechung nur in bestimmten, vom Arbeitnehmer darzulegenden und glaubhaft zu machenden Ausnahmefällen angenommen, in denen der Arbeitnehmer ein gesteigertes Abwehrinteresse habe. Dies könne der Fall sein, wenn sich die Weisung etwa als offensichtlich unwirksam herausstellen sollte, sich der Arbeitnehmer erheblichen Gesundheitsgefahren aussetzen würde, die Tätigkeiten sein berufliches Ansehen irreparabel schädigten oder ihn in schwere Gewissenkonflikte bringen würden. All dieses sei hier nicht gegeben. Der Sachvortrag des Klägers in Bezug auf mögliche Repressalien am neuen Arbeitsplatz wegen seiner früheren Tätigkeit für das MfS sei zwar subjektiv nachzuvollziehen, aber unsubstantiiert und nicht glaubhaft.

Angesichts der Gesamtumstände (der grundsätzlichen Beibehaltung der Tätigkeit, keine Entgeltminderung, Entfernung zum neuen Arbeitsplatz von lediglich 500 Metern) erscheine eine Versetzung nicht so gravierend, dass der Kläger sich hiergegen schützen müsse. Es sei dem Verfügungskläger vielmehr zuzumuten, die neue Tätigkeit zunächst anzutreten und seine Rechte im Hauptverfahren zu vertreten.

Der Kläger hat Berufung beim LArbG Berlin-​Brandenburg eingelegt (Az.: SaGa 1468/14).

B.     Kontext der Entscheidung

Das ArbG Berlin bezieht sich in seinen Ausführungen zum Verfügungsgrund im Zusammenhang mit dem Direktionsrecht des Arbeitgebers auf die gefestigte Rechtsprechung, dass eine für rechtswidrig gehaltene Weisung, sofern sie nicht evident rechtswidrig ist, zunächst zu befolgen ist. Die eingehende Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Weisung sei dem Hauptsacheverfahren vorbehalten (so auch LArbG Frankfurt, Urt. v. 15.02.2011 – 13 SaGa 1934/10 Rn. 49; LArbG Hamm, Urt. v. 05.02.2008 – 11 SaGa 4/08; LArbG Chemnitz, Beschl. v. 26.10.2005 – 2 Sa 641/05). Eine Ausnahme von diesem Grundsatz werde nur dann gemacht, wenn der Arbeitnehmer ein gesteigertes Abwehrinteresse, beispielsweise bei irreparabler Rufschädigung durch die Befolgung der Weisung, besitze (so auch LArbG Mainz v. 09.02.2011 – 7 Ta 4/11 Rn. 35; LArbG Hamm, Urt. v. 05.02.2008 – SaGa 4/08; LArbG Berlin-​Brandenburg, Urt. v. 12.08.2008 – 16 SaGa 1366/08). Das ArbG Berlin schließt sich in seiner hier besprochenen Entscheidung dieser wohl als herrschende Meinung zu bezeichnenden Rechtsprechung vorbehaltlos an und verneint ein gesteigertes Abwehrinteresse des Verfügungsklägers und damit auch den Verfügungsgrund und die Notwendigkeit einer Entscheidung im Eilverfahren.

Außerdem wird der Beschluss des BVerfG vom 24.06.1992 (1 BVR 1028/91) zur Vorlagepflicht im Eilverfahren in die Entscheidungsfindung einbezogen. Das ArbG Berlin machte jedoch von der ihm eingeräumten Kompetenz, vor der im Hauptsacheverfahren einzuholenden Entscheidung des BVerfG zunächst vorläufigen Rechtsschutz zu gewähren, keinen Gebrauch. Es sah hierzu keine Veranlassung, da die in Rede stehende Norm des § 37a StUG nicht evident rechtswidrig schien.

C.     Auswirkungen für die Praxis

Die Entscheidung des ArbG Berlin zeigt, wie schwierig es ist, den Verfügungsanspruch im vorläufigen Rechtsschutz bzw. Eilverfahren auf die Rechtswidrigkeit einer gesetzlichen Vorschrift zu stützen. Die Instanzgerichte werden nur selten willens und in der Lage sein, eine Rechtsnorm als evident rechtswidrig zu bezeichnen. Insoweit verlangte man auch nahezu Unmögliches, denn die Prüfung der formellen und materiellen Verfassungsmäßigkeit einer Vorschrift ist kompliziert und zeitaufwendig. Zeit indes ist im Eilverfahren kaum vorhanden, so dass der Vortrag, eine entscheidungserhebliche Norm sei rechtswidrig, nur höchst selten verfangen dürfte.

Im Übrigen sollte der Sachvortrag, wie eigentlich immer, hinreichend substantiiert sein, um ihn gegenüber dem erkennenden Gericht glaubhaft zu machen. Es zieht sich wie ein roter Faden durch die Entscheidungen der Gerichte, dass vorgebrachte Gründe mangels Substantiiertheit nicht tragen. So war es auch hier. Der Verfügungskläger behauptete einfach, ihm würden Repressalien aufgrund seiner Tätigkeit als Objektschützer für das MfS zu Zeiten der DDR drohen, falls man ihn in eine andere Behörde versetzte. Belegen konnte er diese Behauptung freilich nicht, so dass er auch insoweit keinen Verfügungsanspruch glaubhaft machen konnte.

Nachdem die Abordnung zum BVA nur auf Zeit erfolgte, hätte das ArbG Berlin noch diskutieren können, ob überhaupt ein Rechtsschutzbedürfnis im Eilverfahren bestand. Die Maßnahme der Abordnung zum BVA war erkennbar nur zur Erprobung angeordnet worden. Eine Unumkehrbarkeit war nicht mit ihr verbunden, so dass ein Rechtsschutzbedürfnis im Eilverfahren eigentlich gar nicht bestand. Hier legte das ArbG Berlin keinen sonderlich hohen Maßstab an. Dies geschah wahrscheinlich vor dem Hintergrund, überhaupt erst in die Sachprüfung gelangen zu wollen, um dort detailliert dazulegen, warum vorläufiger Rechtsschutz nicht gewährt werden könne.

Anwendbarkeit von § 366 Abs. 2 BGB auf die Urlaubsgewährung bei Zusammentreffen von gesetzlichem und tariflichem Urlaub

Die Entscheidung befasst sich mit der Frage der Anwendbarkeit von § 366 Abs. 2 BGB auf die Urlaubsgewährung und den Verfall von Urlaubsansprüchen, sowie mit der Auslegung einer tariflichen Norm als eigenständige tarifliche Regelung oder als Norm mit rein deklaratorischem Charakter.


Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht, Christoph J. Burgmer, kommentiert ein Urteil des LArbG Nürnberg 7. Kammer, Urteil vom 27.05.2014 – 7 Sa 32/14, in juris PR-ArbR 45/2014

Orientierungssatz

Auslegung des § 18 Manteltarifvertrag Metall- und Elektroindustrie.
Anwendbarkeit des § 366 Abs. 2 BGB bei Gewährung von Urlaub, wenn der tarifliche den gesetzlichen Mindesturlaub übersteigt.

A.     Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Die Parteien streiten um Resturlaubsansprüche.

Der Kläger ist seit September 1968 bei der Beklagten als Technikumsmitarbeiter beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis findet ein Haustarifvertrag Anwendung, der seinerseits bezüglich der Urlaubsansprüche auf den Manteltarifvertrag der Bayrischen Metall- und Elektroindustrie (TR 5/10 – 300 ab 145; im Folgenden MTV) verweist. Die Urlaubsdauer beträgt 30 Tage. § 18 MTV regelt unter Punkt A. die Allgemeinen Bestimmungen und unter B. die Urlaubsdauer. Unter § 18 A Ziff. 7 heißt es:

„Der Anspruch auf Urlaub erlischt drei Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres, es sei denn, dass er erfolglos geltend gemacht wurde.“

Unter § 18 B Ziff. 1 heißt es:

„Die Urlaubszeit beträgt 30 Tage, wenn die individuelle wöchentliche Arbeitszeit des Arbeitnehmers auf 5 Tage je Kalenderwoche verteilt ist.“

Der Kläger brachte 2012 von seinem Jahresurlaub für 2012 insgesamt zwölf Urlaubstage ein. Für den Zeitraum vom 20.12.2012 bis zum 18.01.2013 beantragte er erneut Urlaub, der ihm von der Beklagten genehmigt wurde. Jedoch erkrankte der Kläger am 14.12.2012 arbeitsunfähig bis zum 07.06.2013. Ihm standen zu Beginn seiner Arbeitsunfähigkeit am 14.12.2012 noch 18 restliche Urlaubstage zu. Wieder genesen beantragte er, ihm Urlaub aus dem Jahr 2012 für den Zeitraum 10.06.2013 bis 03.07.2013 zu gewähren. Die Beklagte genehmigte ihm Urlaub für den Zeitraum vom 10.06.2013 bis lediglich 21.06.2013, wobei sie von acht restlichen Urlaubstagen aus dem Jahr 2012 ausging und dem Kläger mitteilte, die weiteren zehn Tage des Urlaubs für 2012 seien verfallen.

Erstinstanzlich erhob der Kläger am 24.07.2013 Klage zum ArbG Bamberg, mit der er geltend machte, er habe aus dem Jahr 2012 noch Anspruch auf Urlaub in Höhe von zehn Tagen. Das Arbeitsgericht wies die Klage ab.

Der Kläger legte gegen das Urteil Berufung ein und beantragte, die Beklagte zu verurteilen, ihm auf seinem Urlaubskonto zehn weitere Urlaubstage gutzuschreiben. Die Beklagte widersetzte sich der Klageänderung und beantragte, die Berufung zurückzuweisen. Der Kläger vertrat die Auffassung, der MTV enthalte kein eigenes Urlaubsregime. Soweit man von zwei unterschiedlichen Urlaubsregimen (Tarifvertrag und Urlaub nach dem BUrlG) ausgehe, müsse zumindest zugestanden werden, dass die Erfüllung in seiner, des Klägers, Hand liege. Die Beklagte meinte, die Tarifvertragsparteien hätten sich in § 18 MTV von dem gesetzlichen Fristenregime gelöst. Stichtag für den Verfall des Urlaubsanspruchs sei der 31.03. des Folgejahres, nicht der 31.12. des Urlaubsjahres. Dies stelle eine eigenständige, den Arbeitnehmer besser stellende Regelung dar. Auch hätten die Tarifvertragsparteien zwischen dem gesetzlichen und dem tariflichen Urlaub unterschieden. Der Resturlaub 2012 sei deshalb verfallen.

Das LArbG Nürnberg erachtete die Berufung für zulässig und begründet, der Kläger habe Anspruch auf zehn Tage bezahlter Freistellung (§§ 282, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1, 366 Abs. 2 BGB i.V.m. § 18 A Ziff. 1 und 7 MTV). Die unstreitig bestehenden zehn restlichen Urlaubstage seien nicht zum 31.03.2013 verfallen.

Der Urlaubsanspruch des § 18 A Ziff. 7 MTV gehe über den gesetzlichen Mindesturlaubsanspruch hinaus. Eine tarifvertragliche Bestimmung, die bezüglich des Verfalls von Urlaub, der über den gesetzlichen Mindesturlaub hinausgeht, eine von der Rechtsprechung des EuGH zur Richtlinie 2003/88/EG abweichende Regelung enthält, sei grundsätzlich zulässig, insbesondere für Fragen des Verfalls sowie der Abgeltung. Für die Annahme einer eigenständigen abweichenden tariflichen Regelung bedürfe es allerdings eindeutiger, über das Regelungsziel des § 7 BUrlG hinausgehender Bestimmungen im Tarifvertrag. Dieser Wille müsse im Tarifvertrag einen hinreichend erkennbaren Ausdruck finden. Dieser sei regelmäßig anzunehmen, wenn eine im Gesetz nicht oder anders enthaltene Regelung getroffen oder eine gesetzliche Regelungen übernommen worden sei, die sonst nicht für die betroffenen Arbeitsverhältnisse gelten würde. Für einen rein deklaratorischen Charakter spreche es, wenn gesetzliche Regelungen wörtlich oder inhaltlich übernommen werden. Eine eigenständige Regelung könne sich daraus ergeben, dass die Tarifvertragsparteien ausdrücklich zwischen dem gesetzlichen Urlaub und dem tariflichen Mehrurlaub unterschieden, oder daraus, dass die Tarifvertragsparteien das gesetzliche Urlaubssystem durch die Vereinbarung einer eigenständigen Regelung verließen.

Das LArbG Nürnberg konnte auf dieser Grundlage nicht erkennen, dass die Tarifvertragsparteien eine eigenständige Regelung getroffen hätten. Zwar sei in § 18 A Ziff. 7 MTV eine Übertragung des Urlaubsanspruchs auf die ersten drei Monate des Folgejahres geregelt, wonach abweichend von § 7 Abs. 3 Satz 2 BUrlG betriebliche oder in der Person des Arbeitnehmers liegende rechtfertigende Gründe nicht erforderlich seien. Der Rechtsprechung des BAG folgend, vermochte das Gericht hierin indes kein eigenständiges Fristenregime zu erkennen. Es werde lediglich auf die ansonsten notwendige Prüfung der Übertragungsvoraussetzungen verzichtet.

Doch selbst wenn davon auszugehen sei, dass der MTV eine eigenständige Regelung zum Verfall des Urlaubsanspruchs enthielte, sei im vorliegenden Fall der Urlaub des Klägers gleichwohl nicht verfallen. Denn die eigenständige Verfallsregelung könne sich nur auf die tariflichen (Mehr-​)Urlaubsansprüche beziehen. Lediglich der tarifliche Mehrurlaub unterliege dem tariflichen Urlaubsregime. Die zum Zeitpunkt des Beginns der Arbeitsunfähigkeit des Klägers noch offenen Urlaubsansprüche seien indes gesetzlicher Natur gewesen, was sich aus § 366 Abs. 2 BGB ergebe. Daher habe die Beklagte 2012 zunächst den tariflichen Urlaubsanspruch erfüllt. Der tarifliche Mehrurlaub sei, gehe man davon aus, dass die Tarifvertragsparteien ein eigenes Urlaubsregime aufgestellt haben, der gegenüber dem gesetzlichen Urlaub weniger sichere Anspruch.

Das Berufungsgericht rechnete also die noch offenen zehn restlichen Urlaubstage aus dem Jahr 2012 dem Urlaub für 2013 zu. Da sie nicht bis 31.03.2014 gewährt wurden, verfielen sie zu diesem Zeitpunkt. Insoweit stünde dem Kläger gegenüber der Beklagten ein Schadensersatzanspruch zu. Die Beklagte habe schuldhaft gehandelt, indem sie den für den Zeitraum 10.06.2013 bis 03.07.2013 beantragten Urlaub verweigerte. Der Schadensersatzanspruch gehe auf die Gewährung von zehn Tagen bezahlter Freistellung von der Arbeitsleistung im Wege der Naturalrestitution nach § 249 BGB.

Die Revision wurde zugelassen. Von grundsätzlicher Bedeutung sei die Klärung der Fragen der Auslegung von § 18 MTV und der Anwendbarkeit von § 366 BGB bei der Urlaubsgewährung (Az. des BAG: 9 AZR 507/14).

B.     Kontext der Entscheidung

Die Behandlung von Urlaubsansprüchen und die Unterwerfung ihres Verfalls unter ein eigenes Fristenregime der Tarifvertragsparteien war bereits Gegenstand höchstrichterlicher Rechtsprechung, auf die sich das erkennende Gericht in seiner Entscheidung auch bezog (BAG, Urt. v. 16.07.2013 – 9 AZR 914/11). Insoweit hob es eine vergleichbare Entscheidung zu Verfall und Übergang des Urlaubsanspruchs besonders hervor, in der Kriterien für die Auslegung tariflicher Normen aufgestellt wurden, anhand derer festzustellen war, ob die Tarifvertragsparteien hierdurch eine selbstständige, in ihrer normativen Wirkung von der außertariflichen Norm unabhängige, eigenständige Regelung treffen wollten (BAG, Urt. v. 12.04.2011 – 9 AZR 80/10). Die hierin aufgestellten Kriterien zur Feststellung eines eigenen, selbstständigen Fristenregimes hat das Berufungsgericht bei der Entscheidungsfindung angewandt. Es kam hier richtigerweise zu dem Ergebnis, dass die Tarifvertragsparteien kein eigenes Fristenregime aufgestellt hatten.

Hinsichtlich der Anwendbarkeit von § 366 BGB auf Urlaubsansprüche bot sich dem Berufungsgericht keine einheitliche Rechtsprechung des BAG. In seiner Entscheidung vom 07.08.2012 (9 AZR 760/10) verneinte das BAG eine unmittelbare und auch eine analoge Anwendung der Vorschrift, da es sich bei dem Zusammentreffen von gesetzlichen und tariflichen Urlaubsansprüchen um einen einheitlichen Anspruch auf Erholungsurlaub handele. In späteren Urteilen vom 16.07.2013 (9 AZR 914/11) und vom 15.10.2013 (9 AZR 302/12) ging es indes von einer Anwendbarkeit des § 366 Abs. 1 BGB bei Ansprüchen auf Urlaubsabgeltung aus. Dort hatte es jedoch ein Leistungsbestimmungsrecht des Arbeitgebers angenommen. Demzufolge wäre es konsequent, in den Fällen, in denen der Arbeitgeber bei der Urlaubsgewährung keine Tilgungsbestimmung trifft, von einer Anwendung des § 366 Abs. 2 BGB auszugehen.

So hat auch das Berufungsgericht entschieden. Offen blieb, ob die Bestimmung des § 366 BGB auch auf Urlaubsansprüche anzuwenden war, die teils auf dem Gesetz, teils auf einer tariflichen oder sonstigen Rechtsgrundlage beruhen und eine unterschiedliche Behandlung erfahren. Das Berufungsgericht hat hier § 366 BGB analog angewendet und dies mit den unterschiedlichen Verfallsfristen der Urlaubsansprüche begründet. Daher hat es die Zulassung der Revision zum BAG als geboten angesehen.

C.     Auswirkungen für die Praxis

Die Tarifvertragsparteien sind nach der Rechtsprechung des BAG bei der Regelung tariflichen Mehrurlaubs auch vor dem Hintergrund unionsrechtlicher Vorgaben nicht gehindert, die Behandlung von Urlaubsansprüchen einer eigenständigen Regelung zu unterwerfen. Sie können Urlaubsansprüche, die den von Art. 7 Abs. 1 der Arbeitszeitrichtlinie gewährleisteten und von den §§ 1, 3 Abs. 1 BUrlG begründeten Anspruch auf Mindestjahresurlaub von vier Wochen übersteigen, frei regeln (BAG, Urt. v. 12.04.2011 – 9 AZR 80/10 Rn. 21 und BAG, Urt. v. 16.07.2013 – 9 AZR 914/11 Rn. 22). Sie sind gut beraten, dies sorgfältig und vor dem Hintergrund der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu tun, also darauf zu achten, dass für den Fall, dass ein eigenständiges Fristenregime gewollt ist, auch ein solches aufzustellen. Tarifvertragliche Parallelregelungen, die sich inhaltlich auch im Gesetz (Bundesurlaubsgesetz) wiederfinden, oder an dieses anlehnen, sind rein deklaratorisch und führen nicht zu der beabsichtigten Eigenständigkeit, sondern verhindern sie nach der Rechtsprechung des BAG. Weiterhin ist auf eine ausdrückliche Differenzierung zwischen dem gesetzlichen Urlaub und dem tariflichen Mehrurlaub zu achten.

Arbeitgeber, die Urlaub gewähren, sollten hierbei ausdrücklich mitteilen, welchen Urlaubsanspruch sie damit erfüllen wollen. Dabei ist dem Wortlaut des § 366 Abs. 1 BGB entsprechend darauf zu achten, dass diese Bestimmung „bei der Leistung“ erfolgt. Nach übereinstimmender Rechtsprechung von BAG und BGH ist eine nachträgliche Bestimmung grundsätzlich unwirksam (BAG, Urt. v. 16.07.2013 – 9 AZR 914/11 Rn. 18, BGH, Urt. v. 26.03.2009 – I ZR 44/06 Rn. 46). Fehlt eine ausdrückliche oder rechtzeitige Bestimmung, droht die Anwendung der Tilgungsbestimmung des § 366 Abs. 2 BGB. Danach wird im Regelfall der tarifliche Mehrurlaub als die ungünstigere Forderung erfüllt.

Voraussetzungen für Stellung als Einfirmenvertreter

Die Frage, ob Handelsvertreter vor den Arbeitsgerichten klagen und verklagt werden können oder auf den Zivilrechtsweg zu verweisen sind, ist Grundlage zahlreicher gerichtlicher Entscheidungen. Im Grundsatz sind die Zivilgerichte zuständig. Allerdings regelt § 5 Abs. 3 ArbGG eine Ausnahme von diesem Grundsatz. Gemäß dieser Vorschrift ist die arbeitsgerichtliche Sonderzuständigkeit für solche Handelsvertreter eröffnet, die als so genannte „Einfirmenvertreter“ handeln und nicht mehr als 1.000 Euro monatlich an Vergütung einschließlich Provision und Aufwendungsersatz bezogen haben. Das OLG Oldenburg befasste sich vor diesem Hintergrund mit der grundsätzlichen Frage, unter welchen Voraussetzungen ein Handelsvertreter als Einfirmenvertreter anzusehen ist.


Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht, Christoph J. Burgmer und Rechtsanwalt Hans Rüdiger Soltyszeck, LL.M., kommentieren einen Beschluss des OLG Oldenburg, 13. Zivilsenat, Beschluss vom 25.07.2014 – 13 W 9/14, in juris PR-ArbR 42/2014

Leitsätze

1. Zur Handelsvertretereigenschaft eines “Geschäftsstellenleiters”, der – zusätzlich zu seiner vermittelnden Tätigkeit als Handelsvertreter – durch einen gesonderten Vertrag mit der eigenverantwortlichen Führung der Geschäftsstelle eines Finanzdienstleistungsunternehmens betraut wird.

2. Aus einer Vertragsklausel, nach der der Handelsvertreter “während der Vertragszeit nur – hauptberuflich – für … [den Unternehmer] tätig sein” darf, ergibt sich ein Verbot der Tätigkeit für weitere Unternehmer und damit eine Stellung als Einfirmenvertreter i.S.d. § 92a Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 HGB (Bestätigung von OLG Karlsruhe, Beschl. v. 12.05.2006 – 1 W 18/06 Rn. 13; gegen OLG Hamm, Beschl. v. 29.11.2010 – 18 W 61/10 Rn. 36).

3. Zur Berechnung der während der letzten sechs Monate des Vertragsverhältnisses im Durchschnitt monatlich bezogenen Vergütung (§ 5 Abs. 3 Satz 1 ArbGG).

A.     Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Die Klägerin betreibt unter anderem die Vermittlung von Verträgen über Finanzdienstleistungen. Die Beklagte war zunächst aufgrund eines „Consultantvertrags“ für die Klägerin tätig, in dem ihr auferlegt wurde, während der Vertragszeit nur – hauptberuflich – für die Klägerin tätig sein zu dürfen. Später betraute die Klägerin die Beklagte zusätzlich auf Grundlage eines „Geschäftsstellenleitervertrags“ mit der eigenverantwortlichen Führung der Geschäftsstelle. Nach Beendigung des Geschäftsstellenleitervertrags machte die Klägerin vertragliche Ansprüche auf Verlustausgleich geltend, da die Geschäftsstelle ein negatives Ergebnis erwirtschaftet habe.

Entgegen der Rüge der Beklagten erklärte das angerufene Landgericht den Rechtsweg zu den Zivilgerichten für zulässig. Auf die anschließende sofortige Beschwerde der Beklagten hin verwies das OLG Oldenburg den Rechtsstreit an das zuständige Arbeitsgericht.

In der Begründung stützte sich das Oberlandesgericht im Wesentlichen darauf, dass die Formulierung des Consultantvertrags, nach der der Consultant während der Vertragszeit nur – hauptberuflich – für die Klägerin tätig sein darf, ein Verbot der Tätigkeit für ein anderes Unternehmen i.S.d. § 92a Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 HGB darstelle. Der einschränkende Zusatz „hauptberuflich“ ändere daran aufgrund der konkreten Klauselformulierung nichts.

B.     Kontext der Entscheidung

§ 13 GVG eröffnet den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten, wenn es sich um bürgerliche Streitigkeiten handelt. Hiervon abweichend bestimmt § 2 Abs. 1 Nr. 3 lit. a ArbGG, dass für bürgerliche Streitigkeiten zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern die Arbeitsgerichte zuständig sind.

Arbeitnehmer ist nach Rechtsprechung des BAG derjenige Mitarbeiter, der seine Dienstleistung im Rahmen einer von Dritten bestimmten Arbeitsorganisation erbringt (BAG, Urt. v. 03.07.1985 – 5 AZR 69/84 Rn. 26; BAG, Urt. v. 13.01.1983 – 5 AZR 149/82 Rn. 25). Demgegenüber ist Handelsvertreter gemäß § 84 Abs. 1 HGB, wer als selbstständiger Gewerbetreibender ständig damit betraut ist, für einen anderen Unternehmer Geschäfte zu vermitteln oder in dessen Namen abzuschließen.

Das Merkmal der Selbstständigkeit in § 84 Abs. 1 Satz 2 HGB bildet das grundsätzliche Unterscheidungskriterium. Demnach ist selbstständig, wer im Wesentlichen seine Tätigkeit frei gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann. Unselbstständig und deshalb persönlich abhängig ist im Gegenteil der Mitarbeiter, dem dies nicht möglich ist. Selbstständigen Handelsvertretern ist der Weg zu den Arbeitsgerichten damit grundsätzlich verwehrt.

Jedoch wird durch § 5 Abs. 3 ArbGG i.V.m. § 2 Abs. 1 Nr. 3 lit. a ArbGG, § 92a HGB eine arbeitsgerichtliche Sonderzuständigkeit für eine bestimmte Gruppe von Handelsvertretern eröffnet. Es handelt sich um eine Spezialregelung der Arbeitnehmerähnlichkeit, die abschließend ist und kein hilfsweises Zurückgreifen auf die allgemeinen Grundsätze der Arbeitnehmerähnlichkeit erlaubt (Bader in: Bader/Creutzfeld/Friedrich, ArbGG, 5. Aufl. 2008, § 5 Rn. 9; LArbG Frankfurt, Beschl. v. 06.11.2013 – 12 Ta 252/13).

Demnach sind für Streitigkeiten mit selbstständigen Handelsvertretern die Arbeitsgerichte nur dann zuständig, wenn sie zu dem in § 92a HGB angesprochenen Personenkreis gehören und wenn sie während der letzten sechs Monate im Durchschnitt nicht mehr als 1.000 Euro monatlich bezogen haben. Voraussetzung ist damit nach § 92a Abs. 1 HGB zunächst, dass es dem Handelsvertreter als sog. „Einfirmenvertreter“ nach dem Vertrag verboten ist, für weitere Unternehmen tätig zu werden. Das OLG Oldenburg hat hierzu in der vorliegenden Entscheidung herausgearbeitet, dass eine derartige Verbotsregelung nicht zwingend dadurch aufgehoben oder eingeschränkt wird, dass die Tätigkeit als „hauptberuflich“ bezeichnet wird. Denn daraus könne – je nach Art der konkreten Formulierung – nicht zwangsläufig gefolgert werden, dass für nebenberufliche Tätigkeiten dieses Verbot nicht besteht. Zudem kann sich bei mehreren nebeneinander bestehenden Verträgen das Vorliegen der genannten Voraussetzungen unter Umständen in einer Gesamtschau ergeben.

C.     Auswirkungen für die Praxis

Sinn und Zweck des § 92a HGB ist es, die besonders schutzwürdigen Einfirmenvertreter oder Mehrfirmen-​Versicherungsvertreter aufgrund ihrer besonders hohen Abhängigkeit vom Unternehmen zu schützen (BAG, Urt. v. 16.02.2012 – 8 AZR 98/11 Rn. 52). Dabei kann es nach fehlerfreier Wertung des Oberlandesgerichts nicht darauf ankommen, ob sich die Voraussetzungen des § 92a HGB aus einem oder aus dem Zusammenwirken mehrerer Verträge ergeben.

Vor diesem Hintergrund empfiehlt es sich für die Praxis, die beabsichtigten Verhältnisse zunächst in ihrer Gesamtschau klar zu definieren und sie anschließend im Wege möglichst eindeutiger Regelungen zu vereinbaren. Bei nachträglicher Veränderung oder Ergänzung bestehender Regelungen ist darauf zu achten, welche Wechselwirkungen sich im Einzelfall ergeben können, und insbesondere darauf, ob und inwieweit sich die Bindung des Handelsvertreters an den Unternehmer verändert. Dabei ist zu beachten, dass für die Abgrenzung zwischen Arbeitnehmer und Handelsvertreter das Gesamtbild der Verhältnisse unter Berücksichtigung der tatsächlichen Durchführung maßgeblich ist und es nicht allein auf die von den Parteien gewählten Bezeichnungen oder die vorgenommene Einordnung des Vertrags ankommt.

D.     Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung

Entsprechend der Rechtsprechung des BGH (Beschl. v. 12.02.2008 – VIII ZB 3/07) bezog das Oberlandesgericht für die Ermittlung der während der letzten sechs Monate des Vertragsverhältnisses durchschnittlichen Monatsvergütung alle unbedingt entstandenen Vergütungsansprüche des Handelsvertreters mit ein. Auf den Einwand der Klägerin, dass hierbei vom Unternehmer erstattete Aufwendungen des Handelsvertreters nicht zu berücksichtigen seien, führte das Oberlandesgericht aus, dass derartige Erstattungen ohnehin nicht in den vertraglichen Regelungen zwischen den Parteien vorgesehen und von der Klägerin gezahlt worden seien.

Fristwahrung bei Anfechtung einer Betriebsratswahl nur bei hinreichend substantiiertem Sachvortrag

Das LArbG Hamm hat sich jüngst mit der Problematik beschäftigt, dass innerhalb der zweiwöchigen Anfechtungsfrist des § 19 Abs. 2 BetrVG zur Anfechtung einer Betriebsratswahl zwar ein Wahlanfechtungsantrag eingereicht wurde, dieser sich aber nicht konkret auf die dort angefochtene Wahl bezog, sondern ohne näheren Sachvortrag wortgleich Rügen aus einer bereits vorher angefochtenen Betriebsratswahl desselben Betriebs übernommen hatte.


Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht, Christoph J. Burgmer kommentiert einen Beschluss des LArbG Hamm vom 31.03.2014, 13 Ta BV 110/10, in juris PR-ArbR 35/2014

Orientierungssatz zur Anmerkung

Die zweiwöchige Frist des § 19 Abs. 2 BetrVG zur Anfechtung einer Betriebsratswahl kann nur durch hinreichend substantiierten Sachvortrag in Hinblick auf die Fehlerhaftigkeit der Wahl gewahrt werden.

A.     Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Im Betrieb der Arbeitgeberin sind 38 Arbeitnehmer dauerhaft beschäftigt. Nachdem zwei Betriebsratsmitglieder zurückgetreten waren, fand am 26.04.2013 die Neuwahl eines Betriebsrats statt. Mit Schriftsatz vom 07.05.2013, beim Arbeitsgericht am Folgetag eingegangen, hat die Arbeitgeberin die Wahl angefochten. Sie stellte den Antrag, festzustellen, dass die Betriebsratswahl im Betrieb der Arbeitgeberin unwirksam sei.

Der Wahlanfechtungsantrag enthielt jedoch ausschließlich solche Punkte, die die Arbeitgeberin bereits in einem vom 09.03.2011 datierenden Schriftsatz an das ArbG Rheine zur Anfechtung der Betriebsratswahl vom 25.02.2011 vorgetragen hatte. Erst in späteren Schriftsätzen vom 16.07. und 16.09.2013, also längst nach Bekanntgabe des Ergebnisses der Betriebsratswahl und nach Ablauf der Anfechtungsfrist des § 19 Abs. 2 BetrVG, erhob die Arbeitgeberin weitere Rügen und beantragte die Einsichtnahme in die Wahlakten.

Das ArbG Rheine hat die Anträge mit Beschluss vom 02.10.2013 zurückgewiesen. Der Wahlanfechtungsantrag sei schon deshalb zurückzuweisen gewesen, weil die Arbeitgeberin nicht innerhalb der Zwei-​Wochen-​Frist des § 19 Abs. 2 Satz 2 BetrVG spezifische, auf die konkrete Wahl bezogene Anfechtungsgründe vorgebracht habe. Hiergegen wandte sich die Arbeitgeberin mit der Beschwerde und beantragte, den Beschluss des ArbG Rheine für unwirksam zu erklären. Überdies beantragte sie, den Betriebsrat zu verpflichten, der Arbeitgeberin Einsicht in die Wahlakten zur Betriebsratswahl vom 26.04.2013 zu gewähren. Der Betriebsrat beantragte, unter Anknüpfung an sein erstinstanzliches Vorbringen, die Beschwerde zurückzuweisen.

Das LArbG Hamm führte aus, die zulässige Beschwerde der Arbeitgeberin sei in vollem Umfang unbegründet und wies die Anträge der Arbeitgeberin zurück. Nach zutreffender Rechtsprechung des BAG müsse der Antragsteller, der sich gegen die Wirksamkeit einer Betriebsratswahl wende, bereits innerhalb der zweiwöchigen Anfechtungsfrist einen betriebsverfassungsrechtlich erheblichen Tatbestand unterbreiten, der seiner Ansicht nach das Begehren rechtfertige. Denn ließe man später ein erstmaliges Vorbringen konkreter Gründe zu, so würde dies im Ergebnis auf eine unzulässige Verlängerung der Wahlanfechtungsfrist für eine unübersehbare Zeit hinauslaufen. Der Wahlanfechtungsantrag der Arbeitgeberin vom 26.04.2013 werde der zuvor aufgestellten Anforderung nicht gerecht, weil er wörtlich mit einem Wahlanfechtungsantrag der Arbeitgeberin aus dem Jahr 2011 übereinstimme. Es sei somit offensichtlich zu Tage getreten, dass gegen die streitgegenständliche Betriebsratswahl lediglich abstrakte Einwände ohne Bezugnahme auf das konkrete Geschehen erhoben worden seien. Aufgrund des so eingetretenen Ablaufs der Wahlanfechtungsfrist sei es auch nicht mehr erforderlich, die Betriebsratswahl auf ihre Ordnungsgemäßheit zu überprüfen.

Hinsichtlich des Antrags auf Einsichtnahme in die Wahlunterlagen führte das LArbG Hamm aus, dass dieser schon deshalb zurückzuweisen gewesen sei, weil es sich um einen sog. „Globalantrag“ gehandelt habe. Dieser Globalantrag sei dadurch charakterisiert, dass er Konstellationen (mit-​)umfasse, die das Begehren nicht rechtfertigten. Richtigerweise hätte die Arbeitgeberin beantragen müssen, Einsicht nur in solche Teile der Wahlakten zu erhalten, aus denen kein Rückschluss auf das Wahlverhalten einzelner Arbeitnehmer hätte gezogen werden können.

B.     Kontext der Entscheidung

Die Frist des § 19 Abs. 2 Satz 2 BetrVG ist eine Ausschlussfrist, nach deren Ablauf das Anfechtungsrecht erlischt, so dass von diesem Zeitpunkt an die Wahl unanfechtbar wird, auch wenn das Wahlverfahren an wesentlichen Mängeln gelitten hat (Fitting, BetrVG, 27. Aufl., § 19 Rn. 36). Das BAG hat hierzu bereits in einer frühen Entscheidung ausgeführt: Eine solche Anfechtung hat innerhalb der hierfür vorgesehenen Frist von zwei Wochen (§ 19 Abs. 2 BetrVG) zu erfolgen. Fehlt es an einer Anfechtung oder ist diese nicht fristgerecht erfolgt, so ist der in Verkennung des Betriebsbegriffes gewählte Betriebsrat für die Dauer seiner Amtszeit das rechtmäßig fungierende betriebsverfassungsrechtliche Vertretungsorgan (BAG, Urt. v. 26.10.1979 – 7 AZR 752/77 Rn. 21). Das LArbG Hamm ist also auf einer Linie mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung, wenn es ausführt, dass die Betriebsratswahl vom April 2013 nicht mehr auf ihre Ordnungsgemäßheit zu prüfen sei. Da es sich um eine Ausschlussfrist handelte, konnte sie nicht verlängert werden. Die letzte Möglichkeit der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand schied ebenfalls aus, da es keine entsprechende Regelung im BetrVG gibt (Fitting, BetrVG, § 19 Rn. 36). Die Anträge in den Schriftsätzen vom 16.07. und 16.09.2013, die nicht identisch mit denen aus dem Jahr 2011 waren, wären also selbst dann, wenn sie unverschuldet verspätet gestellt worden wären, nicht geeignet gewesen, eine andere Entscheidung des Gerichts herbeizuführen.

C.     Auswirkungen für die Praxis

Diese Entscheidung mahnt jeden zur Wahlanfechtung nach § 19 Abs. 2 BetrVG Berechtigten, die Anfechtung innerhalb der Zwei-​Wochen-​Frist mit substantiiertem Sachvortrag zu versehen. Eine redundante oder wenig substantiierte Wahlanfechtungserklärung ist nicht fristwahrend, etwa dergestalt, dass man zunächst einmal die Möglichkeit zur Anfechtung gewahrt hat und später eine Begründung „nachschiebt“. Das ArbG Rheine und auch das LArbG Hamm erteilen dieser Vorgehensweise eine klare Absage. Eine spätere Heilungsmöglichkeit gibt es wegen des Fehlens der Möglichkeit zur Einsetzung in den vorigen Stand nicht.

D.     Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung

Das LArbG Hamm greift die Rechtsprechung des BAG erneut auf, wenn es sich dazu äußert, dass der Antrag auf Einsicht in die Wahlakten aus der Betriebsratswahl vom April 2013 als „Globalantrag“ unbegründet ist. Aus § 19 WO ergibt sich zwar grundsätzlich ein Anspruch des Arbeitgebers auf Einsichtnahme in die vom Betriebsrat aufbewahrten Wahlakten der Betriebsratswahl, ohne dass es der Geltendmachung eines besonderen rechtlichen Interesses oder der Darlegung von Anhaltspunkten für das Bestehen von Anfechtungs- oder Nichtigkeitsgründen bedarf. Das, so das BAG (Beschl. v. 27.07.2005 – 7 ABR 54/04), gelte aber nicht für die Bestandteile der Wahlakten, die Aufschluss über das Wahlverhalten einzelner wahlberechtigter Arbeitnehmer geben können. Begehre der Arbeitgeber Einsichtnahme auch in diese Schriftstücke, müsse er Umstände darlegen, aus denen sich ergebe, dass die Kenntnis auch dieser Unterlagen zur Prüfung oder Ordnungsmäßigkeit der Wahl erforderlich sei.

Entsprechende Anträge sind vor diesem Hintergrund also sorgfältig zu formulieren, wenn der Antragsteller nicht Gefahr laufen will, dass sein Anliegen als unbegründet zurückgewiesen wird. Das ist umso prekärer, wenn er, wie im vorliegenden Fall, nicht wenigstens einen entsprechenden Hilfsantrag formuliert hat.

Rechtswegzuständigkeit für Klagen von Handelsvertretern

Ein sowohl das Arbeitsrecht als auch das Handelsrecht betreffendes Thema ist die Unterscheidung zwischen Arbeitnehmer und Handelsvertreter. Die Abgrenzung wird insbesondere dann relevant, wenn es um die Frage des einzuschlagenden Rechtswegs geht. Grundsätzlich müssen Handelsvertreter vor den ordentlichen Gerichten klagen und verklagt werden. Für Verfahren von oder gegen Arbeitnehmer i.S.v. § 5 Abs. 1 Satz 1 ArbGG gilt hingegen die Sonderzuständigkeit der Arbeitsgerichte gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 3 lit. a ArbGG. Diese arbeitsgerichtliche Sonderzuständigkeit gilt gemäß § 5 Abs. 3 ArbGG auch für solche Handelsvertreter, die als Einfirmenvertreter handeln und nicht mehr als 1.000 Euro monatlich an Vergütung einschließlich Provision und Aufwendungsersatz bezogen haben.
Das LArbG Frankfurt setzte sich vor diesem Hintergrund mit der grundsätzlichen Frage auseinander, ob der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten auch für solche Handelsvertreter eröffnet sein kann, die zwar keine Arbeitnehmer gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 ArbGG und auch keine Einfirmenvertreter gemäß § 5 Abs. 3 ArbGG sind, sondern sich allein auf ihre Eigenschaft als arbeitnehmerähnliche Personen gemäß § 5 Abs. 1 Satz 2 ArbGG berufen.


Anmerkung zum Beschluss des LArbG Frankfurt vom 06.11.2013, 12 Ta 252/13 von Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Christoph J. Burgmer und Rechtsanwalt Rüdiger Soltyszeck, LL.M.

Leitsatz

Liegen im Falle eines freien Handelsvertreters die Voraussetzungen der § 5 Abs. 3 ArbGG, § 92a HGB nicht vor, ist die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte gegeben.

§ 5 Abs. 3 ArbGG enthält eine für Handelsvertreter in sich geschlossene Regelung, die der Regelung in § 5 Abs. 1 ArbGG für arbeitnehmerähnliche Personen vorgeht.

A.     Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Der Kläger berief sich in der Beschwerdeinstanz weder auf den Fortbestand des früheren Anstellungsvertrags noch darauf, entgegen der Absprachen im Handelsvertretervertrag nach den tatsächlichen Umständen als weisungsabhängiger Arbeitnehmer beschäftigt gewesen zu sein. Er machte lediglich noch geltend, im Vertragsverhältnis mit der Beklagten den Status einer arbeitnehmerähnlichen Person gemäß § 5 Abs. 1 Satz 2 ArbGG gehabt zu haben.

Die Beklagte betreibt bundesweit Einzelhandelsgeschäfte für Lebensmittel. Nachdem der Kläger zunächst im Jahr 2005 als filialverantwortlicher Marktleiter angestellt worden war, hoben die Parteien einvernehmlich im Jahr 2010 diesen Arbeitsvertrag auf und schlossen gleichzeitig einen Handelsvertretervertrag nebst Zusatzverträgen (Untermietvertrag für die Geschäftsräume, Mietvertrag über Inventar), auf dessen Grundlage der Kläger die Filiale als selbstständiger „Marktinhaber“ führte.

Später erhob der Kläger Klage auf Zahlung der Differenz zwischen seiner vorherigen Vergütung als Arbeitnehmer und dem später erzielten Handelsvertretereinkommen. In diesem Rahmen waren auch die Frage der Arbeitnehmereigenschaft des Klägers und die damit zusammenhängende Frage des Rechtswegs zu klären.

Der Kläger vertrat die Ansicht, er sei auch nach Abschluss des Handelsvertretervertrages arbeitnehmerähnliche Person gewesen, da sich in seinem Arbeitsalltag gegenüber seiner angestellten Tätigkeit als Marktleiter nichts geändert habe. Hingegen war die Beklagte der Ansicht, zwischen den Parteien habe ein freies Handelsvertreterverhältnis bestanden.

Das ArbG Wiesbaden hat die Rechtswegzuständigkeit der Arbeitsgerichte für die vom Kläger eingereichte Zahlungsklage verneint und den Rechtsstreit an das LG Fulda verwiesen. Das LArbG Frankfurt hat die sofortige Beschwerde des Klägers als unbegründet zurückgewiesen.

In der Begründung stützte sich das Gericht im Wesentlichen darauf, dass § 5 Abs. 3 ArbGG der Anwendung des § 5 Abs. 1 ArbGG entgegenstehe, da § 5 Abs. 3 ArbGG für Handelsvertreter als lex specialis gegenüber den Grundsätzen zum Status der arbeitnehmerähnlichen Person in § 5 Abs. 1 ArbGG angesehen werde. Der Kläger erfülle zudem nicht die Voraussetzungen, um gemäß § 5 Abs. 3 ArbGG, § 92a HGB trotz seiner Stellung als Handelsvertreter als Arbeitnehmer im Sinne des Arbeitsgerichtsgesetzes angesehen werden zu können.

B.     Kontext der Entscheidung

Gemäß § 13 GVG ist der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten grundsätzlich dann eröffnet, wenn es sich um bürgerliche Streitigkeiten handelt. Hiervon abweichend bestimmt § 2 Abs. 1 Nr. 3 lit. a ArbGG, dass bürgerliche Streitigkeiten zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern vor dem Arbeitsgericht auszutragen sind.

Handelsvertreter ist gemäß § 84 Abs. 1 HGB, wer als selbstständiger Gewerbetreibender ständig damit betraut ist, für einen anderen Unternehmer (Unternehmer) Geschäfte zu vermitteln oder in dessen Namen abzuschließen.

Arbeitnehmer ist nach der ständigen Rechtsprechung des BAG derjenige Mitarbeiter, der seine Dienstleistung im Rahmen einer von Dritten bestimmten Arbeitsorganisation erbringt (BAG, Urt. v. 03.07.1985 – 5 AZR 69/84 Rn. 26; BAG, Urt. v. 13.01.1983 – 5 AZR 149/82 Rn. 25). Insoweit enthält § 84 Abs. 1 Satz 2 HGB ein typisches Abgrenzungsmerkmal. Nach dieser Bestimmung ist selbstständig, wer im Wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann. Unselbstständig und deshalb persönlich abhängig ist also der Mitarbeiter, dem dies nicht möglich ist. Diese unmittelbar nur für die Abgrenzung des selbstständigen Handelsvertreters vom abhängig beschäftigten Handlungsgehilfen geltende Regelung enthält über diesen unmittelbaren Anwendungsbereich hinaus eine allgemeine gesetzgeberische Wertung, die bei der Abgrenzung des Dienstvertrages vom Arbeitsvertrag zu beachten ist, zumal dies die einzige Norm ist, die Kriterien hierfür enthält (BAG, Urt. v. 13.01.1983 – 5 AZR 149/82 Rn. 25). Die Eingliederung in die fremde Arbeitsorganisation zeigt sich insbesondere darin, dass ein Arbeitnehmer hinsichtlich Zeit, Dauer und Ort der Ausführung der versprochenen Dienste einem umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Eine fachliche Weisungsgebundenheit tritt häufig hinzu; sie ist andererseits für Dienste höherer Art nicht immer typisch (BAG, Urt. v. 13.01.1983 – 5 AZR 149/82 Rn. 26).

Das Kriterium der Selbstständigkeit bildet daher das zentrale Merkmal für die Abgrenzung zwischen dem Handelsvertreter und dem Arbeitnehmer sowie anderen unselbstständigen Hilfspersonen, wie dem Handlungsgehilfen gemäß § 59 HGB.

Bei der für die Zuständigkeit der Zivil- bzw. der Arbeitsgerichte bedeutsamen Abgrenzung von selbstständigen Handelsvertretern (§ 81 Abs. 1 HGB) und Unselbstständigen i.S.v. § 84 Abs. 2 HGB, § 5 Abs. 1, Abs. 3 Satz 1 ArbGG bzw. Einfirmenvertretern (§ 92a Abs. 1 HGB) ist weder allein auf die von den Parteien vorgenommene Einordnung des Vertrags oder die dabei gewählte Bezeichnung noch isoliert auf die tatsächliche Durchführung des Vertrags, sondern auf das Gesamtbild der Verhältnisse unter Würdigung sowohl der Vertragsgestaltung als auch der tatsächlichen Handhabung des Vertrags abzustellen (BGH, Beschl. v. 04.03.1998 – VIII ZB 25/97 Rn. 5, 6; Bitz in: Prütting/Gehrlein, ZPO, 4. Aufl. 2012, § 13 Rn. 14).

Selbstständigen Handelsvertretern bleibt der Weg zu den Arbeitsgerichten damit grundsätzlich versagt. Jedoch eröffnet § 5 Abs. 3 ArbGG i.V.m. § 2 Abs. 1 Nr. 3 lit. a ArbGG, § 92a HGB eine arbeitsgerichtliche Sonderzuständigkeit für eine bestimmte Gruppe von Handelsvertretern.

Denn gemäß § 5 Abs. 3 ArbGG gelten Handelsvertreter dann als Arbeitnehmer im Sinne des ArbGG, wenn sie zu dem Personenkreis gehören, für den nach § 92a HGB die untere Grenze der vertraglichen Leistungen des Unternehmers festgesetzt werden kann, und wenn sie während der letzten sechs Monate des Vertragsverhältnisses, bei kürzerer Vertragsdauer während dieser, im Durchschnitt monatlich nicht mehr als 1 000 Euro aufgrund des Vertragsverhältnisses an Vergütung einschließlich Provision und Ersatz für im regelmäßigen Geschäftsbetrieb entstandene Aufwendungen bezogen haben.

Darüber hinaus kann sich ein Handelsvertreter nicht auf die arbeitsgerichtliche Rechtswegeröffnung des § 5 Abs. 1 ArbGG berufen. Denn, wie das LArbG Frankfurt vorliegend in Übereinstimmung mit dem LArbG Hamm (Beschl. v. 20.09.2004 – 2 Ta 644/03) herausstellt, steht der Anwendung des § 5 Abs. 1 ArbGG die Vorschrift des § 5 Abs. 3 ArbGG entgegen. Dieser sperrt als speziellere Regelung für Handelsvertreter die Anwendbarkeit des § 5 Abs. 1 ArbGG. Bereits 1961 hat das BAG zu Art. 3 Abs. 1 HdlVertrG, der Vorgängernorm des § 5 Abs. 3 ArbGG entschieden, dass diese Regelung als Spezialvorschrift der Anwendung des § 5 Abs. 1 Satz 2 ArbGG entgegensteht (BAG, Urt. v. 15.07.1961 – 5 AZR 472/60 Leitsatz 3). Diese Auffassung wird vom BGH geteilt (BGH, Beschl. v. 25.10.2000 – VIII ZB 30/00 Rn. 13).

C.     Auswirkungen für die Praxis

Auch wenn die vorliegend dieser Entscheidung zentral zugrundeliegende Rechtsfrage seit den Sechzigerjahren geklärt scheint, beschäftigt noch heute die Abgrenzungsfrage die erst- und zweitinstanzlichen Gerichte. Um derartige Streitigkeiten zu vermeiden, empfiehlt es sich, möglichst eindeutige vertragliche Regelungen zu treffen. Dabei ist zu beachten, dass es für die Abgrenzung zwischen Arbeitnehmer und Handelsvertreter nicht allein auf die von den Parteien gewählten Bezeichnungen oder die vorgenommene Einordnung des Vertrags ankommt, sondern das Gesamtbild der Verhältnisse unter Berücksichtigung der tatsächlichen Durchführung maßgeblich ist.

Reichweite des Auskunftsrechts für Wahlvorstand bei möglicher Nichtigkeit der Wahl

Das LArbG Hamm hatte im Rahmen eines Verfahrens auf Erlass einer einstweiligen Verfügung über den Antrag eines Wahlvorstandes zu entscheiden, ihm eine Liste der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zur Verfügung zu stellen. Inzident musste dabei überprüft werden, ob eine nichtige Wahl beabsichtigt war, weil der Arbeitgeber behauptete, der Wahlvorstand habe den Betriebsbegriff verkannt, und daher sei der Antrag unzulässig.


Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Christoph J. Burgmer kommentiert einen Beschluss des LArbG Hamm 04.04.2014, 13 TaBVGa 9/14, in juris PR-ArbR 28/2014

Orientierungssatz zur Anmerkung

Ein Antrag eines Wahlvorstandes, ihm im Rahmen eines Verfahrens auf Erlass einer einstweiligen Verfügung eine Liste der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nach § 2 Abs. 1 Satz 1 WO zur Verfügung zu stellen, ist in dem Umfang abzuweisen, wie die Wahl des Betriebsrates voraussichtlich nichtig sein würde. Ein solcher Antrag ist auf die betrieblichen Einheiten zu beschränken, bei denen grobe und offensichtliche Fehler, die zur Nichtigkeit der Wahl führen würden, nicht erkennbar sind.

A.     Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Der Arbeitgeber ist ein gemeinnütziger, karitativ tätiger Verein mit insgesamt rund 2.000 Arbeitnehmern. Er bietet unterschiedliche Leistungen im Bereich der Eingliederungshilfe sowie der Jugendhilfe in mehr als 40 überregional verteilten Einrichtungsverbünden an, die auf das nördliche und südliche Westfalen sowie das Ruhrgebiet verteilt sind. Der Arbeitgeber hat die „Betriebsführung und Verwaltung der Einrichtungen“ auf drei als gGmbHs ausgegründete Tochtergesellschaften übertragen, getrennt nach drei Regionen Westfalen-​Nord, Westfalen-​Süd und Ruhrgebiet. Die gGmbHs stehen den regional zugeordneten Einrichtungsverbünden und den ihnen zugeordneten Häusern und Diensten vor. Jeder Einrichtungsverbund wird jeweils von einem Einrichtungsleiter geleitet. In den abgeschlossenen sog. Anschluss-​Betriebsführungsverträgen heißt es unter § 3 „Arbeits- und Dienstverhältnisse“:

„1. … Neuabschlüsse und Änderungen von Arbeitsverträgen mit Arbeitnehmern der Einrichtungen erfolgen durch die GmbH im Namen und für Rechnung des e.V.,

2. Zum Zwecke der Betriebsführung übernimmt die GmbH in Vertretung des e.V. gegenüber den in den Einrichtungen tätigen Mitarbeitern Arbeitgeberfunktion wahr mit disziplinarischem und fachlichem Weisungsrecht. ( … ).“

Die Geschäftsführer der jeweils mit der Betriebsführung beauftragten gGmbHs haben allen Einrichtungsleitern schriftlich Vollmachten namentlich für die Durchführung mitbestimmungsrechtlicher und personeller Maßnahmen erteilt.

Auf einer Betriebsversammlung am 29.01.2014 „für die Wahl eines Wahlvorstandes zur Durchführung der Betriebsratswahl im Geschäftsbereich Westfalen-​Süd“ wurde in Anwesenheit von über 100 Arbeitnehmern ein Wahlvorstand für die Region Westfalen-​Süd gewählt.

Der gewählte Wahlvorstand verfolgt im vorliegenden Verfahren das Ziel, vom Arbeitgeber die für die Ausfertigung der Wählerliste erforderlichen Auskünfte zu erhalten, da er die Region Westfalen-​Süd als betriebliche Einheit wahrnimmt. Für sie bestehe eine Gebietsleitung, deren Mitglieder in Personalunion auch Geschäftsführer der entsprechenden gGmbH seien und die Betriebsführungsverantwortung für die gesamte Region wahrnehmen würden.

Der Wahlvorstand hat beantragt, den Arbeitgeber zu verpflichten, ihm eine Wählerliste für die Einrichtungen seiner Region Westfalen-​Süd in Papierform zur Verfügung zu stellen. Das Arbeitsgericht hat mit Beschluss vom 21.02.2014 dem Antrag des Wahlvorstandes stattgegeben.

Der Arbeitgeber vertrat die Auffassung, es sei ersichtlich eine nichtige Wahl beabsichtigt. So liege offensichtlich eine Verkennung des Betriebsbegriffs vor. Alle betriebsverfassungsrechtlich relevanten Entscheidungen würden nämlich selbstständig von den Einrichtungsleitern getroffen, so dass dort für die einzelnen Betriebe ein Betriebsrat zu wählen sei; im Übrigen müssten die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 1 BetrVG beachtet werden. In der Beschwerdeinstanz vertrat der Arbeitgeber weiterhin die Ansicht, es bestehe keine Auskunftspflicht nach § 2 Abs. 1 Satz 1 WO, da das begonnene Verfahren auf eine nichtige Wahl ausgerichtet sei. So seien inzwischen in bestimmten Einrichtungen des Geschäftsbereichs Westfalen-​Süd zwei Betriebsräte und ein weiterer Wahlvorstand gebildet worden, so dass die Wahl des beabsichtigten „Regionalbetriebsrates“ rechtlich nicht mehr möglich sei.

Das LArbG Hamm hat die Beschwerde des Arbeitgebers nur zum Teil als begründet angesehen. Nach der in Bezug genommenen Rechtsprechung des BAG (Beschl. v. 27.07.2011 – 7 ABR 61/10 – AP Nr 2 zu § 16 BetrVG 1972) dürfe ein Verfahren zur Ermöglichung der Wahl eines Betriebsrats, wozu namentlich auch die Erteilung von Auskünften im Rahmen des § 2 Abs. 1 Satz 1 WO gehört, nur bei einer zu erwartenden Nichtigkeit der Wahl abgebrochen werden. Voraussetzung dafür sei, dass offensichtlich gegen allgemeine Grundsätze jeder ordnungsgemäßen Wahl in so hohem Maße verstoßen werde, dass auch der Anschein einer dem Gesetz entsprechenden Wahl nicht mehr bestehe. Davon sei hier insoweit auszugehen, soweit sich das Verfahren zur Wahl eines einheitlichen Betriebsrates für den Bereich Westfalen-​Süd auch auf die beiden Organisationseinheiten beziehe, in denen zwischenzeitlich Betriebsräte gewählt wurden. Da dort zwei rechtmäßig gebildete Betriebsräte existierten, dürfte für deren Zuständigkeitsbereiche keine weitere Betriebsvertretung gewählt werden. Daraus resultiere als notwendige Rechtsfolge, dass die angestrebte regionalweite Wahl eines einheitlichen Betriebsrates insoweit als nichtig einzustufen sei, sofern sie auch die beiden genannten Teilbereiche erfasse. Nur so könne nämlich das gleichzeitige Bestehen mehrerer Betriebsräte mit den damit verbundenen Unklarheiten für die Wahrnehmung bestehender Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte verhindert werden (vgl. BAG, Beschl. v. 11.04.1978 – 6 ABR 22/77 – AP Nr 8 zu § 19 BetrVG 1972; LArbG Hamm, Beschl. v. 17.08.2007 – 10 TaBV 37/07; LArbG Hannover, Beschl. v. 02.12.2011 – 6 TaBV 29/11). Daher sei der Antrag bezogen auf die Teilbereiche, in denen bereits Betriebsräte gebildet worden seien, wegen Nichtigkeit abzuweisen.

Im Übrigen seien keine offensichtlichen und zugleich besonders groben Verstöße gegen bestehende Wahlvorschriften ersichtlich. So sei gegebenenfalls in einem Anfechtungsverfahren zu klären, welche Bedeutung es für den Bestand und die Zuständigkeit des antragstellenden Wahlvorstandes habe, dass nach dessen am 29.01.2014 erfolgter Wahl für die gesamte Region Westfalen-​Süd in der Folgezeit für zwei Teilbereiche dieser Region Betriebsratswahlen durchgeführt wurden, die nicht angefochten wurden. Entsprechendes gelte auch für die Etablierung des Wahlvorstandes, dessen Wahl noch nach Erlass der Entscheidung erster Instanz erfolgen konnte, ohne den unmittelbar bevorstehenden abschließenden Beschluss der erkennenden Kammer abzuwarten. Schließlich habe auch eine mögliche Verkennung des Begriffs der betriebsratsfähigen Organisationseinheit im Rahmen der Bestimmungen des § 1 Abs. 1 Satz 1 BetrVG und § 4 Abs. 1 BetrVG keine Nichtigkeit der angestrebten Betriebsratswahl zur Folge (vgl. BAG, Beschl. v. 27.07.2011 – 7 ABR 61/10 – AP Nr 2 zu § 16 BetrVG 1972). Denn dabei sei eine Vielzahl von Gesichtspunkten des jeweiligen Einzelfalls zu beachten. Komme es insoweit zu Fehlern, seien diese regelmäßig nicht derart grob und offensichtlich, dass der Anschein einer dem Gesetz entsprechenden Wahl nicht mehr bestehe. Daher sei der Arbeitgeber verpflichtet, die verlangten Auskünfte für die Region Westfalen-​Süd mit Ausnahme der Einheiten zu erteilen, in denen bereits Betriebsräte gewählt worden sind.

B.     Kontext der Entscheidung

Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 WO hat der Wahlvorstand für jede Betriebsratswahl eine Liste der Wahlberechtigten (Wählerliste), getrennt nach den Geschlechtern, aufzustellen. Hierzu hat der Arbeitgeber gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 WO dem Wahlvorstand alle für die Anfertigung der Wählerliste erforderlichen Auskünfte zu erteilen und die erforderlichen Unterlagen zur Verfügung zu stellen. Soweit eine geplante Wahl nichtig wäre, können auch darauf gerichtete Auskunftsansprüche nicht wirksam durchgesetzt werden. Insoweit musste das LArbG Hamm die Frage der Nichtigkeit der Wahl als Vorfrage klären.

Die Beurteilung der Vorfrage der Nichtigkeit der Wahl reiht sich die 13. Kammer des LArbG Hamm in die ständige Spruchpraxis der Landesarbeitsgerichte ein, wonach eine Wahl nur dann im Wege eines einstweiligen Verfügungsverfahrens als nichtig angesehen werden kann, wenn der Rechtsverstoß, hier die Verkennung des Betriebsbegriffs, grob und evident ist, sozusagen auf der Hand liegt. Ist dies nicht der Fall, muss die Frage in das Anfechtungsverfahren verlagert und dort beantwortet werden. In einem solchen Fall ist der Auskunftsanspruch des Wahlvorstandes begründet und kann im einstweiligen Verfügungsverfahren durchgesetzt werden. Zu Recht erkennt das LArbG Hamm, dass dort, wo ein Betriebsrat bereits gebildet und dessen Wahl nicht angefochten worden ist, die Wahl eines weiteren Betriebsrats unzulässig ist (BAG, Beschl. v. 11.04.1978 – 6 ABR 22/77; LArbG Hamm, Beschl. v. 14.03.2005 – 10 TaBV 31/05). Wahlhandlungen, die auf die Wahl eines konkurrierenden Betriebsrates gerichtet sind, sind unzulässig. Eine solche Wahl wäre wegen grober Verkennung des Betriebsbegriffs als nichtig einzustufen. Diese Frage kann auch im einstweiligen Verfügungsverfahren beantwortet und muss nicht in ein Anfechtungsverfahren verlagert werden.

Die 13. Kammer des LArbG Hamm hat daher im ersten Schritt basierend auf diesen Grundsätzen erkannt, dass die beabsichtigte Wahl in der Region Westfalen-​Süd grob fehlerhaft wäre, weil dort für zwei betriebliche Einheiten Betriebsräte gewählt sind und deren Wahl nicht angefochten worden ist. Im zweiten Schritt hat es den Antrag des Wahlvorstandes auf Auskunft auf die betrieblichen Einheiten beschränkt, in denen noch keine Betriebsratswahl durchgeführt worden war. Für die verbleibenden Bereiche könne die begehrte Auskunft erteilt werden, da insoweit eine beabsichtigte Wahl nicht nichtig wäre. Für die Bereiche, in denen Betriebsräte gewählt seien, sei der Auskunftsanspruch unbegründet, da eine diese Einheiten erfassende Wahl des Betriebsrates nichtig sei.

Dieser Beschluss korrespondiert mit der Entscheidung des LArbG Hamm vom gleichen Tage (13 TaBVGa 8/14), in der es den Antrag des Arbeitgebers, das eingeleitete Verfahren zur Durchführung der Wahl eines einheitlichen Betriebsrats in der Region Westfalen-​Süd abzubrechen und nicht fortzuführen und jede weitere Handlung zu unterlassen, die auf die Durchführung der Betriebsratswahl eines einheitlichen Betriebsrats in der Region Westfalen-​Süd innerhalb des Sozialwerks St. H e.V. gerichtet ist, im Wesentlichen abgewiesen und dem Wahlvorstand aufgegeben hat, soweit sich das Wahlverfahren auch auf die Teilbereiche bezieht, in denen bereits Betriebsräte gewählt und ein Wahlvorstand gebildet worden ist, es wegen Nichtigkeit abzubrechen. Im Übrigen lägen aber keine Gründe für ein Unterlassen weiterer Handlungen zur Fortführung des begonnenen Wahlverfahrens vor.

Die Entscheidung lässt indes eine Auseinandersetzung mit der Frage vermissen, ob und in welchem Umfang das Gericht im einstweiligen Verfügungsverfahren den Antrag des antragstellenden Wahlvorstandes abändern darf. Der Wahlvorstand war für die Durchführung der Wahl des Betriebsrates für den Betrieb Region Westfalen-​Süd gebildet und wollte mit seinem Antrag die hierfür erforderliche Auskunft sicherstellen. Die Wahl sollte nicht für einen anderen oder verkleinerten Betrieb durchgeführt werden. Sein Ziel kann der Wahlvorstand nicht mehr erreichen, weil ihm keine vollständige Wählerliste der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der Region Westfalen-​Süd zur Verfügung gestellt werden muss. Die für den Betrieb der Region Westfalen-​Süd geplante Wahl müsste folgerichtig abgebrochen und für einen (verkleinerten) anderen Betrieb neu eingeleitet werden.

Im Lichte dieser materiellen Rechtslage hätte die 13. Kammer des LArbG Hamm prüfen müssen, wie mit dem vom Wahlvorstand gestellten Sachantrag umzugehen war. Ungeachtet des in § 938 Abs. 1 ZPO eingeräumten Ermessens ist ein Gericht nicht gänzlich frei in der Wahl, mit welchen Maßnahmen es dem erkennbaren Rechtsschutzziel Geltung verschafft (vgl. Zöller/Vollkommer, ZPO, § 938 Rn. 2, m.w.N.). Das Ermessen wird durch den auch im einstweiligen Verfügungsverfahren geltenden Antragsgrundsatz (vgl. § 308 Abs. 1 ZPO) beschränkt mit der Folge, dass dem Antragsteller nur das Beantragte oder ein Weniger (sog. minus) zugesprochen werden kann, nicht aber ein Anderes (sog. aliud) oder ein Mehr (vgl. LArbG Erfurt, Beschl. v. 10.04.2001 – 5 Sa 403/2000 Rn. 95). Die Grenze dürfte dann überschritten sein, wenn der Arbeitgeber statt zu einer Auskunft über die Wählerliste des Betriebes Region Westfalen-​Süd zur Auskunft über eine Wählerliste eines nicht wesensgleichen verkleinerten oder eines anderen Betriebs verpflichtet wird, auch wenn der zuerkannte Teil der Liste eine Teilmenge der ursprünglich beantragten Liste darstellt. Denn mit dieser Liste kann der Wahlvorstand sein Ziel, die Wahl im Betrieb Region Westfalen-​Süd, nicht (mehr) erreichen. Ein Betrieb, der weniger betriebliche Einheiten umfasst, ist kein minus, sondern ein aliud. Folglich ist auch eine Wählerliste, die betriebliche Einheiten entgegen dem gestellten Antrag ausnimmt, ein aliud und kein minus. Eine schlichte Beschränkung des Auskunftsanspruchs ist deshalb prozessual bedenklich.

C.     Auswirkungen für die Praxis

Diese Entscheidung führt die ständige Rechtsprechung fort: Soweit die beabsichtigte Wahl den groben und evidenten Rechtsverstoß nicht „auf der Stirn“ trägt, kann eine Wahl durchgeführt werden. Etwaige Rechtsfragen müssen dann im nachfolgenden Wahlanfechtungsverfahren geklärt werden. Neu ist: Beantragt der Wahlvorstand eine Wahlhandlung, hier ein Auskunftsverlangen, das nur teilweise auf eine nichtige Wahl ausgerichtet ist, so soll das Gericht bei Erlass einer einstweiligen Verfügung auf das zulässige Maß reduzieren dürfen.

Arbeitgeber oder sonstige Beteiligte, die mit der Einschätzung eines Wahlvorstandes über die Betriebsratsfähigkeit einer betrieblichen (Teil-​)Einheit nicht einverstanden sind, sind gehalten, jede durchgeführte Wahl des Betriebsrates anzufechten, die innerhalb der vom Arbeitgeber als Betrieb qualifizierten betrieblichen Einheit erfolgt ist. Nur dann, wenn jede Wahl angefochten ist, kann am Ende der Weg für die spätere rechtliche Beurteilung der Betriebsratsfähigkeit der gesamten betrieblichen Einheit offengehalten werden (BAG, Beschl. v. 14.11.2001 – 7 ABR 40/00).

D.     Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung

Nach § 83 Abs. 3 ArbGG sind alle diejenigen Stellen zu hören, die durch die begehrte Entscheidung in ihrer betriebsverfassungsrechtlichen Stellung unmittelbar betroffen sind (zuletzt BAG, Beschl. v. 10.12.2013 – 1 ABR 43/12). Deshalb waren hier neben dem antragstellenden Wahlvorstand und dem Arbeitgeber die bereits gewählten Betriebsräte sowie der für einen weiteren Betrieb gebildete Wahlvorstand zu beteiligen, weil sich aus der begehrten gerichtlichen Entscheidung, die sich auf die gesamte Region Westfalen-​Süd bezieht, unmittelbar auch Konsequenzen für die von den drei betriebsverfassungsrechtlichen Organen reklamierten Zuständigkeiten für Teilbereiche der genannten Region hätten ergeben können.

Betriebsratswahl 2014: “Gut gestartet” – Einsetzen des Wahlvorstands und rechtssicheres Vorgehen

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Christoph J. Burgmer in AiB 10/2013

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Schadensersatzanspruch des Arbeitnehmers wegen verspäteter Zahlung von Urlaubsabgeltung und Mehrarbeitsvergütung

Die Entscheidung befasst sich mit der Frage, ob ein Arbeitgeber für einen Steuerschaden des Arbeitnehmers infolge verspäteter Zahlung von Urlaubsabgeltung und Mehrarbeitsvergütung auf Schadensersatz haftet.


Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht, Christoph J. Burgmer kommentiert ein Urteil des LArbG Kiel 1. Kammer, Urteil vom 30.04.2013 – 1 Sa 373/12, in juris PR-ArbR 30/2013

Leitsätze

1. Nach allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen (§§ 280 Abs. 1, Abs. 2, 286 BGB) ist ein Schaden wegen verspäteter Leistung nur bei Verzug des Schuldners mit der Leistungspflicht zu ersetzen.

2. Für die Urlaubsabgeltung ist ein Fälligkeitszeitpunkt gesetzlich nicht nach dem Kalender bestimmt i.S.d. § 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB, sodass es für den Eintritt des Verzugs einer Mahnung des Gläubigers bedarf (im Anschluss an BAG, Urt. v. 07.08.2012 – 9 AZR 353/10).

3. Für Mehrarbeit des Arbeitnehmers, die auf einem Zeitarbeitskonto gesammelt wird und bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses auszuzahlen ist, gilt Entsprechendes: Verzug mit der Auszahlung der Mehrarbeit tritt erst mit Mahnung des Schuldners ein.

A.     Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Die Parteien streiten im Berufungsverfahren um Schadensersatzansprüche wegen verspäteter Zahlung einer Urlaubsabgeltung und Mehrarbeitsvergütung.

Der Kläger war vom 01.01.1995 bis zum 31.12.2009 bei der Beklagten beschäftigt. Der Arbeitsvertrag enthielt eine vertragliche Ausschlussfrist von drei Monaten nach Fälligkeit. Das Arbeitsverhältnis endete durch gerichtlich festgestellten Vergleich vom 01.09.2009 zum 31.12.2009, wobei der Kläger berechtigt wurde, das Arbeitsverhältnis nach vorheriger Absprache (Einigung) mit der Beklagten vorzeitig zu beenden. Der Vergleich sah eine einmalige Abfindung entsprechend den §§ 9, 10 KSchG, §§ 34, 24 EStG in Höhe von 297.155 Euro vor. Diese ist zum 31.12.2009 fällig und zahlbar, auf schriftlichen Wunsch des Klägers auch erst bis spätestens 31.01.2010. Den Resturlaub für das Kalenderjahr 2009 sollte der Kläger nach dem Vergleich in natura nehmen. Der Kläger war seit April 2009 arbeitsunfähig erkrankt. Am 27.10.2009 übersandte er der Beklagten eine weitere Bescheinigung, die Arbeitsunfähigkeit noch bis zum 27.01.2010 auswies.

Die Beklagte zahlte die im Vergleich vereinbarte Abfindung im Januar 2010 an den Kläger aus. Ferner zahlte sie im Januar 2010 Urlaubsabgeltung und im März 2010 nach zwei Mahnungen des Klägers Mehrarbeitsstunden in Höhe von insgesamt 14.492,55 Euro brutto aus. Davon entfielen 8.373 Euro auf Urlaubsabgeltung und 6.118 Euro auf Mehrarbeitsvergütung.

Erstinstanzlich machte der Kläger einen Schadensersatzanspruch wegen der verspäteten Auszahlung von Urlaubsabgeltung und Mehrarbeitsvergütung in Form eines Steuerschadens geltend. Der Kläger vertrat die Auffassung, seine Ansprüche auf Urlaubsabgeltung und Mehrarbeitsvergütung seien im Jahr 2009 fällig gewesen und hätten daher auch in 2009 gezahlt und versteuert werden müssen. Wegen seiner Arbeitsunfähigkeit sei eine Freizeitgewährung ausgeschlossen gewesen. Er habe für die beiden Jahre 2009 und 2010 insgesamt 6.320 Euro mehr an Steuern gezahlt, als bei rechtzeitiger Zahlung durch die Beklagte.

Die Beklagte war dagegen der Auffassung, die Fälligkeit der Ansprüche auf Mehrarbeitsvergütung und Urlaubsabgeltung sei erst nach Ende des Arbeitsverhältnisses in 2010 eingetreten. Die Ansprüche seien verfallen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Zwar sei die Beklagte mit der Zahlung in Verzug gekommen, weil sie nicht pünktlich mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses gezahlt habe. Es ergebe sich aus den Darlegungen des Klägers aber nicht, dass er hierdurch den bezifferten Schaden erlitten habe. Die Ausführungen des Klägers zur Schadenshöhe seien unsubstantiiert. Er habe nicht dargelegt, wie der von ihm behauptete Steuerschaden berechnet worden sei.

Gegen dieses Urteil hat der Kläger Berufung eingelegt und hat sie damit begründet, dass er durch Vorlage der Steuerbescheide sämtliche steuerlichen Parameter, die für die Berechnung seiner Steuerlast erforderlich seien, vorgelegt habe. Er habe sich ferner bei der Berechnung der Steuerlast eines Steuerfachmanns bedient. Die Anwendung des Steuerrechts selbst sei Sache des Gerichts. Die in Rede stehenden Steuerdifferenzen seien durch die Anwendung des besonderen Steuersatzes nach § 32b EStG auf die Einkünfte des Jahres 2010 entstanden. Die Beklagte bestritt weiterhin den Schaden. Die streitigen Ansprüche seien erst im Jahr 2010 fällig geworden, auch sei der Anspruch des Klägers verfallen.

Das LArbG Kiel wies die Berufung ab. Ein Schadensersatzanspruch des Klägers aus den §§ 280 Abs. 1, Abs. 2, 286 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 BGB erfordere den Verzug des Schuldners.

Zwar seien die Ansprüche des Klägers am 31.12.2009 fällig geworden. Nach § 271 Abs. 1 BGB sei ein Anspruch mit Entstehen fällig. Die Ansprüche seien mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 31.12.2009, 24.00 Uhr entstanden. Das folge für den Anspruch auf Urlaubsabgeltung aus § 7 Abs. 4 BUrlG, für den Anspruch auf Mehrarbeitsvergütung aus der bisherigen Praxis sowie dem Vergleich und sei zudem unstreitig. Die Zahlung der Beklagten im Jahre 2010 erfolgte daher nach Eintritt der Fälligkeit.

Es fehle jedoch an einer Mahnung des Klägers. Diese sei nicht nach § 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB entbehrlich. Für die Leistung der Urlaubsabgeltung gebe es keine nach dem Kalender bestimmte Leistungszeit i.S.d. § 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB. Das BAG habe bereits entschieden, dass aus § 7 Abs. 4 BUrlG keine Bestimmung der Leistungszeit folge. Der Vergleich der Parteien regele nichts Abweichendes. Auch hätten die Parteien die Leistungszeit nicht stillschweigend kalendermäßig festgelegt, indem sie als Beendigungsdatum des Arbeitsverhältnisses den 31.12.2009 vereinbarten. Denn nach dem Vergleich habe der Kläger die Möglichkeit gehabt, das Arbeitsverhältnis einseitig vorzeitig zu beenden. Insofern habe bei Abschluss des Vergleiches der Beendigungszeitpunkt noch nicht endgültig festgestanden.

Das Entstehen des Anspruchs auf Mehrarbeitsvergütung war ebenfalls an diesen Zeitpunkt gebunden (s.o.). Daher sei auch diesbezüglich die Leistungszeit nicht nach dem Kalender bestimmt worden, eine Mahnung mithin erforderlich. Allerdings liegen bezüglich des Anspruchs auf Mehrarbeitsvergütung auch zwei Mahnungen des Klägers vor. Deren Zeitpunkt sei zwar nicht vorgetragen, jedoch auch nicht erheblich. Eine Mahnung im Jahr 2009 wäre vor Fälligkeit erfolgt, § 286 BGB verlangt aber eine Mahnung nach Fälligkeit. Eine Mahnung im Jahr 2010 wiederum wäre zwar wirksam, jedoch wäre dann der Verzug nicht mehr kausal für den schon am 01.01.2010, 0.00 Uhr, eingetretenen Steuerschaden.

Ein Schadensersatzanspruch des Klägers könne auch nicht auf die §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB gestützt werden, da ein Schaden wegen Verzögerung der Leistung nach § 280 Abs. 2 BGB nur unter der zusätzlichen Voraussetzung des § 286 BGB ersetzt verlangt werden kann.

Die Revision wurde nicht zugelassen.

B.     Kontext der Entscheidung

Bezüglich des Anspruchs auf Urlaubsabgeltung befindet sich die Entscheidung ganz auf der Linie der BAG-​Rechtsprechung.

Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des BAG, dass der Anspruch auf Urlaubsabgeltung aus § 7 Abs. 4 BUrlG mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses entsteht und nach § 271 BGB auch sofort fällig ist (BAG, Urt. v. 12.03.2013 – 9 AZR 292/11 Rn. 16; BAG, Urt. v. 07.08.2012 – 9 AZR 353/10 Rn. 45; BAG, Urt. v. 09.08.2011 – 9 AZR 365/10 Rn. 21; BAG, Urt. v. 04.05.2010 – 9 AZR 183/09 Rn. 21). In einem Urteil aus dem Jahre 2012 hat das BAG zusätzlich ausgeführt, dass dadurch aber nicht i.S.d.. § 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB eine Zeit nach dem Kalender bestimmt ist, es vielmehr einer Mahnung bedarf, um den Arbeitgeber bezüglich der Abgeltung des gesetzlichen Erholungsurlaubs in Verzug zu setzen (BAG, Urt. v. 07.08.2012 – 9 AZR 353/10 Rn. 45). Erst jüngst hat das BAG diese Rechtsprechung noch einmal bestätigt und auf den Fall tariflichen Mehrurlaubs erstreckt (BAG, Urt. v. 12.03.2013 – 9 AZR 292/11 Rn. 16).

Entscheidender Unterschied zwischen gesetzlichem Mindesturlaub und tariflichem Mehrurlaub bleibt aber die Frage des Verfalls der Urlaubsabgeltung. Bezüglich des gesetzlichen Mindesturlaubs hat das BAG 2009 seine Rechtsprechung unionsrechtskonform dahingehend ändern müssen, dass die zeitlichen Beschränkungen des Urlaubsanspruchs in § 7 Abs. 3 Sätze 1, 3 und 4 BUrlG im Fall der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit bis zum Ende des Bezugs- und/oder Übertragungszeitraums nicht bestehen (BAG, Urt. v. 24.03.2009 – 9 AZR 983/07 Rn. 66). Nachdem der EuGH seine Rechtsprechung ergänzt hat, geht das BAG nunmehr von einem Verfall 15 Monate nach Ende des Urlaubsjahres aus (BAG, Urt. v. 07.08.2012 – 9 AZR 353/10 Rn. 32). Das BAG hat klargestellt, dass tariflicher Mehrurlaub nicht unter diese Regel fällt, sondern regulär verfällt (BAG, Urt. v. 12.03.2013 – 9 AZR 292/11 Rn. 15; BAG, Urt. v. 22.05.2012 – 9 AZR 618/10 Rn. 11). Zum gesetzlichen Urlaubsanspruch gehört aber auch der Zusatzurlaub nach § 125 Abs. 1 SGB IX (BAG, Urt. v. 07.08.2012 – 9 AZR 353/10 Rn. 43).

Bezüglich des Anspruchs auf Mehrarbeitsvergütung gibt es noch keine ausdrückliche höchstrichterliche Rechtsprechung. Bereits im Jahre 1992 hat das BAG aber die Parallele von vorenthaltener Mehrarbeitsvergütung und vorenthaltenem Erholungsurlaub gezogen (BAG, Urt. v. 15.10.1992 – 6 AZR 349/91).

C.     Auswirkungen für die Praxis

Die Entscheidung zeigt, dass weniger manchmal mehr ist. Das Kündigungsrecht, das der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer hier im Vergleich zubilligte, veranlasste das Landesarbeitsgericht entscheidend dazu, davon abzusehen, in dem Vergleich eine Bestimmung des Leistungszeitpunktes nach dem Kalender zu sehen. Dies wiederum führte dazu, dass es dem Arbeitnehmer faktisch unmöglich wurde, von seinem Arbeitgeber Schadensersatz wegen verzögerter Zahlung der Urlaubsabgeltung und der Mehrarbeitsvergütung zu verlangen. Denn eine Mahnung in 2009 läge vor der Fälligkeit, begründete also keinen Verzug. Eine Mahnung in 2010 aber bewirkte nur noch einen Verzug, der für den Steuerschaden nicht mehr kausal wäre.

Arbeitnehmervertreter müssen daher auf der Hut sein. Ein zusätzliches Gestaltungsrecht des Arbeitnehmers wirkt im ersten Moment vorteilhaft, kann aber bei Lichte betrachtet eben auch den entscheidenden Nachteil darstellen. Klarheit geschaffen hätte eine ausdrückliche vertragliche Vereinbarung eines festen Leistungszeitraumes.

Es bleibt aber auch anzumerken, dass der Fall äußerst misslich gelagert war. Denn hätte das Arbeitsverhältnis nicht ausgerechnet zum 31.12. geendet, so hätte der Arbeitnehmer nach Eintritt der Fälligkeit seinen Arbeitgeber durch Mahnung in einen Verzug setzen können, der für einen Steuerschaden kausal gewesen wäre, wenn dieser überhaupt eingetreten wäre.

Auch bezüglich der Mehrarbeitsvergütung zeigt die Entscheidung einmal mehr, wie wichtig genaue Vereinbarungen im Arbeitsvertrag sind. Arbeitnehmer sollten darauf hinwirken, dass für den Anspruch auf Mehrarbeitsvergütung ein Zeitpunkt nach dem Kalender bestimmt ist. In Betracht kommt dabei zunächst, eine jährliche Abrechnung zu vereinbaren. Mindeststandard sollte aber eine Klausel sein, nach der sämtliche angefallene Mehrarbeit mit Ende des Arbeitsverhältnisses zu vergüten ist. Soweit dies nicht möglich ist, weil die angefallene Mehrarbeit im letzten Monat erst mit dessen Ablauf feststeht, kommen entweder eine separate Abrechnung der Überstunden des letzten Monats oder aber eine Verlagerung der „Endabrechnung“ auf einen fixen Zeitpunkt nach Ende des Arbeitsverhältnisses in Betracht.