Das LArbG Hamm hatte im Rahmen eines Verfahrens auf Erlass einer einstweiligen Verfügung über den Antrag eines Wahlvorstandes zu entscheiden, ihm eine Liste der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zur Verfügung zu stellen. Inzident musste dabei überprüft werden, ob eine nichtige Wahl beabsichtigt war, weil der Arbeitgeber behauptete, der Wahlvorstand habe den Betriebsbegriff verkannt, und daher sei der Antrag unzulässig.
Orientierungssatz zur Anmerkung
Ein Antrag eines Wahlvorstandes, ihm im Rahmen eines Verfahrens auf Erlass einer einstweiligen Verfügung eine Liste der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nach § 2 Abs. 1 Satz 1 WO zur Verfügung zu stellen, ist in dem Umfang abzuweisen, wie die Wahl des Betriebsrates voraussichtlich nichtig sein würde. Ein solcher Antrag ist auf die betrieblichen Einheiten zu beschränken, bei denen grobe und offensichtliche Fehler, die zur Nichtigkeit der Wahl führen würden, nicht erkennbar sind.
A. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Der Arbeitgeber ist ein gemeinnütziger, karitativ tätiger Verein mit insgesamt rund 2.000 Arbeitnehmern. Er bietet unterschiedliche Leistungen im Bereich der Eingliederungshilfe sowie der Jugendhilfe in mehr als 40 überregional verteilten Einrichtungsverbünden an, die auf das nördliche und südliche Westfalen sowie das Ruhrgebiet verteilt sind. Der Arbeitgeber hat die „Betriebsführung und Verwaltung der Einrichtungen“ auf drei als gGmbHs ausgegründete Tochtergesellschaften übertragen, getrennt nach drei Regionen Westfalen-Nord, Westfalen-Süd und Ruhrgebiet. Die gGmbHs stehen den regional zugeordneten Einrichtungsverbünden und den ihnen zugeordneten Häusern und Diensten vor. Jeder Einrichtungsverbund wird jeweils von einem Einrichtungsleiter geleitet. In den abgeschlossenen sog. Anschluss-Betriebsführungsverträgen heißt es unter § 3 „Arbeits- und Dienstverhältnisse“:
„1. … Neuabschlüsse und Änderungen von Arbeitsverträgen mit Arbeitnehmern der Einrichtungen erfolgen durch die GmbH im Namen und für Rechnung des e.V.,
2. Zum Zwecke der Betriebsführung übernimmt die GmbH in Vertretung des e.V. gegenüber den in den Einrichtungen tätigen Mitarbeitern Arbeitgeberfunktion wahr mit disziplinarischem und fachlichem Weisungsrecht. ( … ).“
Die Geschäftsführer der jeweils mit der Betriebsführung beauftragten gGmbHs haben allen Einrichtungsleitern schriftlich Vollmachten namentlich für die Durchführung mitbestimmungsrechtlicher und personeller Maßnahmen erteilt.
Auf einer Betriebsversammlung am 29.01.2014 „für die Wahl eines Wahlvorstandes zur Durchführung der Betriebsratswahl im Geschäftsbereich Westfalen-Süd“ wurde in Anwesenheit von über 100 Arbeitnehmern ein Wahlvorstand für die Region Westfalen-Süd gewählt.
Der gewählte Wahlvorstand verfolgt im vorliegenden Verfahren das Ziel, vom Arbeitgeber die für die Ausfertigung der Wählerliste erforderlichen Auskünfte zu erhalten, da er die Region Westfalen-Süd als betriebliche Einheit wahrnimmt. Für sie bestehe eine Gebietsleitung, deren Mitglieder in Personalunion auch Geschäftsführer der entsprechenden gGmbH seien und die Betriebsführungsverantwortung für die gesamte Region wahrnehmen würden.
Der Wahlvorstand hat beantragt, den Arbeitgeber zu verpflichten, ihm eine Wählerliste für die Einrichtungen seiner Region Westfalen-Süd in Papierform zur Verfügung zu stellen. Das Arbeitsgericht hat mit Beschluss vom 21.02.2014 dem Antrag des Wahlvorstandes stattgegeben.
Der Arbeitgeber vertrat die Auffassung, es sei ersichtlich eine nichtige Wahl beabsichtigt. So liege offensichtlich eine Verkennung des Betriebsbegriffs vor. Alle betriebsverfassungsrechtlich relevanten Entscheidungen würden nämlich selbstständig von den Einrichtungsleitern getroffen, so dass dort für die einzelnen Betriebe ein Betriebsrat zu wählen sei; im Übrigen müssten die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 1 BetrVG beachtet werden. In der Beschwerdeinstanz vertrat der Arbeitgeber weiterhin die Ansicht, es bestehe keine Auskunftspflicht nach § 2 Abs. 1 Satz 1 WO, da das begonnene Verfahren auf eine nichtige Wahl ausgerichtet sei. So seien inzwischen in bestimmten Einrichtungen des Geschäftsbereichs Westfalen-Süd zwei Betriebsräte und ein weiterer Wahlvorstand gebildet worden, so dass die Wahl des beabsichtigten „Regionalbetriebsrates“ rechtlich nicht mehr möglich sei.
Das LArbG Hamm hat die Beschwerde des Arbeitgebers nur zum Teil als begründet angesehen. Nach der in Bezug genommenen Rechtsprechung des BAG (Beschl. v. 27.07.2011 – 7 ABR 61/10 – AP Nr 2 zu § 16 BetrVG 1972) dürfe ein Verfahren zur Ermöglichung der Wahl eines Betriebsrats, wozu namentlich auch die Erteilung von Auskünften im Rahmen des § 2 Abs. 1 Satz 1 WO gehört, nur bei einer zu erwartenden Nichtigkeit der Wahl abgebrochen werden. Voraussetzung dafür sei, dass offensichtlich gegen allgemeine Grundsätze jeder ordnungsgemäßen Wahl in so hohem Maße verstoßen werde, dass auch der Anschein einer dem Gesetz entsprechenden Wahl nicht mehr bestehe. Davon sei hier insoweit auszugehen, soweit sich das Verfahren zur Wahl eines einheitlichen Betriebsrates für den Bereich Westfalen-Süd auch auf die beiden Organisationseinheiten beziehe, in denen zwischenzeitlich Betriebsräte gewählt wurden. Da dort zwei rechtmäßig gebildete Betriebsräte existierten, dürfte für deren Zuständigkeitsbereiche keine weitere Betriebsvertretung gewählt werden. Daraus resultiere als notwendige Rechtsfolge, dass die angestrebte regionalweite Wahl eines einheitlichen Betriebsrates insoweit als nichtig einzustufen sei, sofern sie auch die beiden genannten Teilbereiche erfasse. Nur so könne nämlich das gleichzeitige Bestehen mehrerer Betriebsräte mit den damit verbundenen Unklarheiten für die Wahrnehmung bestehender Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte verhindert werden (vgl. BAG, Beschl. v. 11.04.1978 – 6 ABR 22/77 – AP Nr 8 zu § 19 BetrVG 1972; LArbG Hamm, Beschl. v. 17.08.2007 – 10 TaBV 37/07; LArbG Hannover, Beschl. v. 02.12.2011 – 6 TaBV 29/11). Daher sei der Antrag bezogen auf die Teilbereiche, in denen bereits Betriebsräte gebildet worden seien, wegen Nichtigkeit abzuweisen.
Im Übrigen seien keine offensichtlichen und zugleich besonders groben Verstöße gegen bestehende Wahlvorschriften ersichtlich. So sei gegebenenfalls in einem Anfechtungsverfahren zu klären, welche Bedeutung es für den Bestand und die Zuständigkeit des antragstellenden Wahlvorstandes habe, dass nach dessen am 29.01.2014 erfolgter Wahl für die gesamte Region Westfalen-Süd in der Folgezeit für zwei Teilbereiche dieser Region Betriebsratswahlen durchgeführt wurden, die nicht angefochten wurden. Entsprechendes gelte auch für die Etablierung des Wahlvorstandes, dessen Wahl noch nach Erlass der Entscheidung erster Instanz erfolgen konnte, ohne den unmittelbar bevorstehenden abschließenden Beschluss der erkennenden Kammer abzuwarten. Schließlich habe auch eine mögliche Verkennung des Begriffs der betriebsratsfähigen Organisationseinheit im Rahmen der Bestimmungen des § 1 Abs. 1 Satz 1 BetrVG und § 4 Abs. 1 BetrVG keine Nichtigkeit der angestrebten Betriebsratswahl zur Folge (vgl. BAG, Beschl. v. 27.07.2011 – 7 ABR 61/10 – AP Nr 2 zu § 16 BetrVG 1972). Denn dabei sei eine Vielzahl von Gesichtspunkten des jeweiligen Einzelfalls zu beachten. Komme es insoweit zu Fehlern, seien diese regelmäßig nicht derart grob und offensichtlich, dass der Anschein einer dem Gesetz entsprechenden Wahl nicht mehr bestehe. Daher sei der Arbeitgeber verpflichtet, die verlangten Auskünfte für die Region Westfalen-Süd mit Ausnahme der Einheiten zu erteilen, in denen bereits Betriebsräte gewählt worden sind.
B. Kontext der Entscheidung
Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 WO hat der Wahlvorstand für jede Betriebsratswahl eine Liste der Wahlberechtigten (Wählerliste), getrennt nach den Geschlechtern, aufzustellen. Hierzu hat der Arbeitgeber gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 WO dem Wahlvorstand alle für die Anfertigung der Wählerliste erforderlichen Auskünfte zu erteilen und die erforderlichen Unterlagen zur Verfügung zu stellen. Soweit eine geplante Wahl nichtig wäre, können auch darauf gerichtete Auskunftsansprüche nicht wirksam durchgesetzt werden. Insoweit musste das LArbG Hamm die Frage der Nichtigkeit der Wahl als Vorfrage klären.
Die Beurteilung der Vorfrage der Nichtigkeit der Wahl reiht sich die 13. Kammer des LArbG Hamm in die ständige Spruchpraxis der Landesarbeitsgerichte ein, wonach eine Wahl nur dann im Wege eines einstweiligen Verfügungsverfahrens als nichtig angesehen werden kann, wenn der Rechtsverstoß, hier die Verkennung des Betriebsbegriffs, grob und evident ist, sozusagen auf der Hand liegt. Ist dies nicht der Fall, muss die Frage in das Anfechtungsverfahren verlagert und dort beantwortet werden. In einem solchen Fall ist der Auskunftsanspruch des Wahlvorstandes begründet und kann im einstweiligen Verfügungsverfahren durchgesetzt werden. Zu Recht erkennt das LArbG Hamm, dass dort, wo ein Betriebsrat bereits gebildet und dessen Wahl nicht angefochten worden ist, die Wahl eines weiteren Betriebsrats unzulässig ist (BAG, Beschl. v. 11.04.1978 – 6 ABR 22/77; LArbG Hamm, Beschl. v. 14.03.2005 – 10 TaBV 31/05). Wahlhandlungen, die auf die Wahl eines konkurrierenden Betriebsrates gerichtet sind, sind unzulässig. Eine solche Wahl wäre wegen grober Verkennung des Betriebsbegriffs als nichtig einzustufen. Diese Frage kann auch im einstweiligen Verfügungsverfahren beantwortet und muss nicht in ein Anfechtungsverfahren verlagert werden.
Die 13. Kammer des LArbG Hamm hat daher im ersten Schritt basierend auf diesen Grundsätzen erkannt, dass die beabsichtigte Wahl in der Region Westfalen-Süd grob fehlerhaft wäre, weil dort für zwei betriebliche Einheiten Betriebsräte gewählt sind und deren Wahl nicht angefochten worden ist. Im zweiten Schritt hat es den Antrag des Wahlvorstandes auf Auskunft auf die betrieblichen Einheiten beschränkt, in denen noch keine Betriebsratswahl durchgeführt worden war. Für die verbleibenden Bereiche könne die begehrte Auskunft erteilt werden, da insoweit eine beabsichtigte Wahl nicht nichtig wäre. Für die Bereiche, in denen Betriebsräte gewählt seien, sei der Auskunftsanspruch unbegründet, da eine diese Einheiten erfassende Wahl des Betriebsrates nichtig sei.
Dieser Beschluss korrespondiert mit der Entscheidung des LArbG Hamm vom gleichen Tage (13 TaBVGa 8/14), in der es den Antrag des Arbeitgebers, das eingeleitete Verfahren zur Durchführung der Wahl eines einheitlichen Betriebsrats in der Region Westfalen-Süd abzubrechen und nicht fortzuführen und jede weitere Handlung zu unterlassen, die auf die Durchführung der Betriebsratswahl eines einheitlichen Betriebsrats in der Region Westfalen-Süd innerhalb des Sozialwerks St. H e.V. gerichtet ist, im Wesentlichen abgewiesen und dem Wahlvorstand aufgegeben hat, soweit sich das Wahlverfahren auch auf die Teilbereiche bezieht, in denen bereits Betriebsräte gewählt und ein Wahlvorstand gebildet worden ist, es wegen Nichtigkeit abzubrechen. Im Übrigen lägen aber keine Gründe für ein Unterlassen weiterer Handlungen zur Fortführung des begonnenen Wahlverfahrens vor.
Die Entscheidung lässt indes eine Auseinandersetzung mit der Frage vermissen, ob und in welchem Umfang das Gericht im einstweiligen Verfügungsverfahren den Antrag des antragstellenden Wahlvorstandes abändern darf. Der Wahlvorstand war für die Durchführung der Wahl des Betriebsrates für den Betrieb Region Westfalen-Süd gebildet und wollte mit seinem Antrag die hierfür erforderliche Auskunft sicherstellen. Die Wahl sollte nicht für einen anderen oder verkleinerten Betrieb durchgeführt werden. Sein Ziel kann der Wahlvorstand nicht mehr erreichen, weil ihm keine vollständige Wählerliste der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der Region Westfalen-Süd zur Verfügung gestellt werden muss. Die für den Betrieb der Region Westfalen-Süd geplante Wahl müsste folgerichtig abgebrochen und für einen (verkleinerten) anderen Betrieb neu eingeleitet werden.
Im Lichte dieser materiellen Rechtslage hätte die 13. Kammer des LArbG Hamm prüfen müssen, wie mit dem vom Wahlvorstand gestellten Sachantrag umzugehen war. Ungeachtet des in § 938 Abs. 1 ZPO eingeräumten Ermessens ist ein Gericht nicht gänzlich frei in der Wahl, mit welchen Maßnahmen es dem erkennbaren Rechtsschutzziel Geltung verschafft (vgl. Zöller/Vollkommer, ZPO, § 938 Rn. 2, m.w.N.). Das Ermessen wird durch den auch im einstweiligen Verfügungsverfahren geltenden Antragsgrundsatz (vgl. § 308 Abs. 1 ZPO) beschränkt mit der Folge, dass dem Antragsteller nur das Beantragte oder ein Weniger (sog. minus) zugesprochen werden kann, nicht aber ein Anderes (sog. aliud) oder ein Mehr (vgl. LArbG Erfurt, Beschl. v. 10.04.2001 – 5 Sa 403/2000 Rn. 95). Die Grenze dürfte dann überschritten sein, wenn der Arbeitgeber statt zu einer Auskunft über die Wählerliste des Betriebes Region Westfalen-Süd zur Auskunft über eine Wählerliste eines nicht wesensgleichen verkleinerten oder eines anderen Betriebs verpflichtet wird, auch wenn der zuerkannte Teil der Liste eine Teilmenge der ursprünglich beantragten Liste darstellt. Denn mit dieser Liste kann der Wahlvorstand sein Ziel, die Wahl im Betrieb Region Westfalen-Süd, nicht (mehr) erreichen. Ein Betrieb, der weniger betriebliche Einheiten umfasst, ist kein minus, sondern ein aliud. Folglich ist auch eine Wählerliste, die betriebliche Einheiten entgegen dem gestellten Antrag ausnimmt, ein aliud und kein minus. Eine schlichte Beschränkung des Auskunftsanspruchs ist deshalb prozessual bedenklich.
C. Auswirkungen für die Praxis
Diese Entscheidung führt die ständige Rechtsprechung fort: Soweit die beabsichtigte Wahl den groben und evidenten Rechtsverstoß nicht „auf der Stirn“ trägt, kann eine Wahl durchgeführt werden. Etwaige Rechtsfragen müssen dann im nachfolgenden Wahlanfechtungsverfahren geklärt werden. Neu ist: Beantragt der Wahlvorstand eine Wahlhandlung, hier ein Auskunftsverlangen, das nur teilweise auf eine nichtige Wahl ausgerichtet ist, so soll das Gericht bei Erlass einer einstweiligen Verfügung auf das zulässige Maß reduzieren dürfen.
Arbeitgeber oder sonstige Beteiligte, die mit der Einschätzung eines Wahlvorstandes über die Betriebsratsfähigkeit einer betrieblichen (Teil-)Einheit nicht einverstanden sind, sind gehalten, jede durchgeführte Wahl des Betriebsrates anzufechten, die innerhalb der vom Arbeitgeber als Betrieb qualifizierten betrieblichen Einheit erfolgt ist. Nur dann, wenn jede Wahl angefochten ist, kann am Ende der Weg für die spätere rechtliche Beurteilung der Betriebsratsfähigkeit der gesamten betrieblichen Einheit offengehalten werden (BAG, Beschl. v. 14.11.2001 – 7 ABR 40/00).
D. Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung
Nach § 83 Abs. 3 ArbGG sind alle diejenigen Stellen zu hören, die durch die begehrte Entscheidung in ihrer betriebsverfassungsrechtlichen Stellung unmittelbar betroffen sind (zuletzt BAG, Beschl. v. 10.12.2013 – 1 ABR 43/12). Deshalb waren hier neben dem antragstellenden Wahlvorstand und dem Arbeitgeber die bereits gewählten Betriebsräte sowie der für einen weiteren Betrieb gebildete Wahlvorstand zu beteiligen, weil sich aus der begehrten gerichtlichen Entscheidung, die sich auf die gesamte Region Westfalen-Süd bezieht, unmittelbar auch Konsequenzen für die von den drei betriebsverfassungsrechtlichen Organen reklamierten Zuständigkeiten für Teilbereiche der genannten Region hätten ergeben können.