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Arztbesuch während Arbeitszeit bei vollem Lohn?

Ein Rechtsbeitrag von Rechtsanwalt und Fachanwalt Christoph J. Burgmer

Zum Hintergrund: Ohne Arbeit kein Lohn?

Grundsätzlich ist der Arbeitnehmer zur Erbringung der Arbeitsleistung verpflichtet, um als Gegenleistung seinen Lohn zu erhalten. Eine Fortzahlung des Lohns ist aber laut § 616 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) nicht kategorisch ausgeschlossen, wenn der Arbeitnehmer für nur kurze Zeit an der Ausübung seiner Arbeit verhindert ist. Diese gesetzliche Regelung umfasst Hinderungsgründe, die alleine in der Person des Arbeitnehmers liegen.
Es haben sich im Laufe der Zeit in der Rechtsprechung verschiedene Fallgruppen herausgebildet. Ein Anspruch auf bezahlte Freistellung wegen unverschuldeter Arbeitsversäumnis kommt in folgenden Fällen in Frage:

  • Krankheit
  • Arztbesuch während Arbeitszeit (unter bestimmten Voraussetzungen)
  • Pflege naher Angehöriger
  • Umzug
  • Familiäre Ereignisse wie u.U. Geburten, eigene Hochzeit, Todesfälle und religiöse Feste
  • Pflichten aus Ehrenamt
  • Öffentliche Pflichten

Häufig werden in Tarif- und Arbeitsverträgen eigene Regelungen für die Behandlung unverschuldeter Arbeitsversäumnis vorgesehen. Diese gehen zumeist mehr ins Detail, ähneln im Ergebnis nicht selten aber der Gesetzeslage.

Zum Sachverhalt: Arztbesuch während Arbeitszeit

Der Arbeitnehmer arbeitet bei der Arbeitgeberin als Klima- und Lüftungsmonteur. Im Arbeitsvertrag haben die Parteien die Anwendung eines Tarifvertrages vereinbart. Der Tarifvertrag regelt die zulässigen Fälle der Arbeitsverhinderung abschließend.
Zur Anwendung kommt hier also nicht § 616 BGB. Im Ergebnis lässt sich das Urteil aber auch auf Fälle übertragen, in denen keine tarifvertragliche Regelung vorgesehen ist.
Falls die Abwesenheit des Arbeitnehmers wegen unverschuldeter Verhinderung unumgänglich ist, soll nach dem Tarifvertrag das Entgelt für höchstens vier Stunden fortbezahlt werden.
Der Arbeitnehmer nahm an einem Arbeitstag einen Arzttermin bei seinem Orthopäden von 10:15 Uhr bis 11:45 wahr. Seine Arbeitszeiten und die Sprechzeiten der Praxis hatten es ihm nicht erlaubt, diesen Termin auf einen Zeitpunkt nach der Arbeit zu legen. Für den restlichen Tag stellte er einen Antrag auf Freizeitausgleich, sodass er nicht mehr zur Arbeit erscheinen musste.
Die Arbeitgeberin war nicht bereit, dem Arbeitnehmer die 1,5 Stunden für den Arztbesuch auf seinem Arbeitszeitkonto gutzuschreiben. Daher erhob er Klage vor dem Arbeitsgericht auf bezahlte Freistellung für die Zeit des Termins, ohne Erfolg. Die Berufung vor dem Landesarbeitsgericht hatte Erfolg.

Zur Entscheidung: Anspruch auf bezahlte Freistellung

Das Landesarbeitsgericht führte aus, dem Arbeitnehmer stehe ein Anspruch auf Gutschrift der 1,5 Stunden zu. Die Voraussetzungen des Tarifvertrags für die Fortzahlung des Gehalts bei unverschuldeter Verhinderung seien vorliegend gegeben.
Es könne sich auch bei Arztbesuchen um Fälle unverschuldeter Arbeitsversäumnis handeln. Dies sei der Fall, wenn der Arzt auf Terminwünsche des Arbeitnehmers keine Rücksicht nehmen könne oder wolle. Im vorliegenden Fall sei die Abwesenheit insbesondere unumgänglich gewesen, da der Arzt keine Sprechstunden außerhalb der Arbeitszeiten des Arbeitnehmers angeboten habe.

Fazit

In der Regel wird ein Arbeitnehmer nicht ohne weiteres bezahlte Freistellung für einen Arztbesuch erlangen. Wird der Arbeitnehmer jedoch zu einer Untersuchung einbestellt und kann oder will der Arzt den Termin nicht an die Arbeitszeiten anpassen, so besteht eine Konfliktsituation, in der eine Fortzahlung des Entgeltes verlangt werden kann.
LAG Niedersachsen, Urteil vom 08.02.2018, Az. 7 Sa 256/17

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