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Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei Anordnung der Einreichung ärztlicher Arbeitsunfähigkeitsatteste

Ein Rechtsbeitrag von Rechtsanwalt und Fachanwalt Christoph J. Burgmer

Rechtsanwalt und Fachanwalt für arbeitsrecht, Christoph J. Burgmer und Rechtsanwalt Hans Rüdiger Soltyszeck, LL.M., kommentieren einen Beschluss des LArbG Berlin-Brandenburg 3. Kammer, Beschluss vom 19.06.2012 - 3 TaBV 2149/11, in juris PR-ArbR 45/2012

Nach § 5 Abs. 1 Satz 2 EFZG ist ein Arbeitnehmer verpflichtet, im Fall länger als drei Tage andauernder krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit dem Arbeitgeber ein ärztliches Attest vorzulegen.
Das LArbG Berlin-​Brandenburg hatte sich mit der Frage zu befassen, ob dem Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht zusteht, wenn der Arbeitgeber seine Mitarbeiter dazu auffordert, auch schon vor dem Ablauf dieser drei Tage der Arbeitsunfähigkeit ein Attest vorzulegen.
Orientierungssätze
1. Der für das Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG erforderliche kollektive Tatbestand ist nicht nur gegeben, wenn der Arbeitgeber allen Arbeitnehmern auferlegt, bereits vom ersten Tag der Arbeitsunfähigkeit an eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorzulegen. Es genügt, wenn sich eine Regelungsfrage stellt, die über eine ausschließlich einzelfallbezogene Rechtsausübung hinausgeht und kollektive Interessen der Arbeitnehmer des Betriebes berührt (hier Mitbestimmungsrecht hinsichtlich der Erteilung von Attestauflagen bejaht).
2. § 5 Abs. 1 Satz 3 EntgFG stellt keine das Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG ausschließende Regelung dar, weil es dem Arbeitgeber einen Regelungsspielraum hinsichtlich der Frage eröffnet, ob und wann die Arbeitsunfähigkeit vor dem vierten Tag nachzuweisen ist. Auch in § 96 Abs. 1 BBG wird nicht abschließend bestimmt, auf welche Weise Dienstunfähigkeit infolge von Krankheit nachzuweisen ist. § 21 des Manteltarifvertrags der Deutschen Telekom AG vom 01.03.2004 enthält ebenfalls keine abschließende Regelung, die ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG ausschließt.
3. Der Betriebsrat kann die Beseitigung eines mitbestimmungswidrigen Zustandes verlangen (hier Anspruch des Betriebsrats, dass der Arbeitgeber den betroffenen Arbeitnehmern und Beamten mitteilt, dass die ihnen erteilten Attestauflagen unwirksam sind).
A.     Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
In dem Betrieb des Arbeitgebers sind neben Angestellten auch Beamte beschäftigt, denen nach § 4 Abs. 4 Satz 1 bis 3 PostPersRG eine Tätigkeit bei dem Arbeitgeber zugewiesen wurde. Der einschlägige Manteltarifvertrag berechtigt den Arbeitgeber, von seinen Mitarbeitern in begründeten Fällen die Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung bereits am ersten Tag der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit zu verlangen.
Der Arbeitgeber forderte im vierten Quartal 2010 und im ersten Quartal 2011 zahlreiche Arbeitnehmer dazu auf, bereits am ersten Tag der Arbeitsunfähigkeit die Bescheinigungen vorzulegen. Zudem forderte der Arbeitgeber seine Muttergesellschaft dazu auf, den bei ihm tätigen Beamten Attestauflagen zu erteilen. Daraufhin ordnete die Muttergesellschaft gegenüber den genannten Beamten gemäß § 96 BBG an, bereits am ersten Tag der Arbeitsunfähigkeit ärztliche Bescheinigungen vorzulegen. Der Arbeitgeber hatte den Betriebsrat zuvor nicht beteiligt.
Das Landesarbeitsgericht hat entschieden, dass der Arbeitgeber das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats aus § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG zu beachten hat, wenn er seine Mitarbeiter dazu auffordert, ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vorzulegen und kein Fall des § 5 Abs. 1 Satz 2 oder Satz 4 EFZG vorliegt. Im Fall der Missachtung dieses Mitbestimmungsrechts stehe dem Betriebsrat ein Unterlassungsanspruch gegen den Arbeitgeber zu. Dies gelte selbst dann, wenn die Gruppe der betroffenen Mitarbeiter sowohl aus Angestellten als auch aus Beamten bestehe. Gegen diese Entscheidung wurde die Rechtsbeschwerde zugelassen.
B.     Kontext der Entscheidung
Mitbestimmungsrechte gemäß § 87 Abs. 1 BetrVG bestehen nur, soweit keine gesetzliche oder tarifliche Regelung besteht. Denn wird der Mitbestimmungsgegenstand durch eine solche Regelung inhaltlich abschließend geregelt, verbleibt den Betriebsparteien kein Ausgestaltungsspielraum mehr. Verbleibt dem Arbeitgeber hingegen trotz einer solchen Regelung ein Spielraum für eigene Gestaltungen, ist das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats insoweit nicht ausgeschlossen. Die Vorschrift des § 5 Abs. 1 Satz 3 EFZG räumt dem Arbeitgeber das Recht ein, die Attestvorlage auch früher zu verlangen als in Satz 2 vorgesehen. Damit wird dem Arbeitgeber ein Gestaltungsspielraum eröffnet,, in dem er das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats zu beachten hat.
Nach der ständigen Rechtsprechung des BAG hat der Betriebsrat nur mitzubestimmen bei Maßnahmen, die das sog. Ordnungsverhalten der Arbeitnehmer im Betrieb betreffen (BAG, Beschl. v. 27.01.2004 – 1 ABR 7/03 Rn. 20). Daher unterliegen Weisungen des Arbeitgebers, mit denen die Arbeitspflicht unmittelbar konkretisiert wird, nicht der Mitbestimmung. Vor diesem Hintergrund hat das Landesarbeitsgericht entschieden, dass die streitgegenständlichen Attestauflagen keine unmittelbare Konkretisierung des Arbeitsverhaltens darstellen und dem mitbestimmungspflichtigen Ordnungsverhalten zuzurechnen sind.
C.     Auswirkungen für die Praxis
Mit dieser Entscheidung stellt das LArbG Berlin-​Brandenburg klar, dass ein Arbeitgeber, der schon vor Ablauf der dreitägigen Arbeitsunfähigkeit ein Attest von seinen Mitarbeitern verlangt, sich nicht erfolgreich darauf berufen kann, es handele sich bei dieser Anordnung lediglich um eine das Arbeitsverhalten betreffende Maßnahme. Auch das Argument, gesetzliche oder tarifvertragliche Regelungen würden das betriebsverfassungsrechtliche Mitbestimmungsrecht ausschließen, kann dann nicht erfolgreich vorgetragen werden, wenn dem Arbeitgeber ein gewisser Gestaltungsspielraum verbleibt.
In der Praxis sollten die Betriebsparteien vor diesem Hintergrund im Einzelfall genau prüfen, ob eine die Arbeitnehmer betreffende Maßnahme des Arbeitgebers aufgrund einer zwingenden gesetzlichen oder tarifvertraglichen Pflicht zur Vornahme dieser Maßnahme besteht, oder ob dem Arbeitgeber Raum zur eigenen Ausgestaltung verbleibt. Dies setzt voraus, dass sich die Betriebsparteien Klarheit über die die Maßnahme betreffenden gesetzlichen oder tarifvertraglichen Bestimmungen und insbesondere deren Reichweite verschaffen. Erlässt der Arbeitgeber eine mitbestimmungspflichtige Maßnahme, ohne das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats zu beachten, riskiert er, dass der Betriebsrat von seinem Unterlassungsanspruch Gebrauch macht. Empfehlenswert in derartigen Fragen betriebsverfassungsrechtlicher Mitbestimmung ist es für Arbeitgeber und Betriebsräte gleichermaßen, möglichst frühzeitig den Dialog zu suchen, um auf diesem Weg einen Konsens zu erreichen und zeit- und kostenintensiven Eskalationen entgegenzuwirken.
D.     Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung
Das mitbestimmungspflichtige Ordnungsverhalten ist nach dieser Entscheidung des Landesarbeitsgerichts auch dann betroffen, wenn der Arbeitgeber nicht selbst zur Attestvorlage auffordert, sondern die Dienstherrin der in seinem Betrieb tätigen Beamten dazu auffordert, entsprechende Attestauflagen zu erteilen.

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