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Einstweilige Verfügung auf Weiterbeschäftigung bei bisheriger Dienststelle

Die Entscheidung befasst sich mit der Frage der Zumutbarkeit einer Abordnung zu einer anderen Behörde als Erprobung auf der Grundlage von § 37a StUG. Außerdem wird zur Reichweite der Prüfungskompetenz des erkennenden Gerichts im vorläufigen Rechtsschutz Stellung genommen, wenn sich der Kläger auf die Verfassungswidrigkeit der Norm beruft, die zu einer ihn betreffenden Maßnahme (Versetzung) ermächtigt.


Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht, Christoph J. Burgmer, kommentiert ein Urteil des ArbG Berlin 16. Kammer, Urteil vom 01.07.2014 – 16 Ga 8789/14, in juris PR-ArbR 46/2014

Orientierungssätze

1. Eine Entscheidung, mit der ein Arbeitnehmer für die Dauer von sechs Monaten mit dem Ziel der Versetzung abgeordnet wird, ist nicht mangels Begründung rechtswidrig. Es handelt sich vielmehr um die Ausübung des arbeitgeberseitigen Weisungsrechts in einer besonderen Form, die nicht in der schriftlichen Weisung selbst begründet werden muss. Sie verstößt auch nicht gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz.

2. Ein Gericht, das eine für die Entscheidung maßgebliche Gesetzesnorm für verfassungswidrig hält, kann nicht durch Art 100 Abs. 1 GG gehindert sein, vor der im Hauptsacheverfahren einzuholenden Entscheidung des BVerfG vorläufigen Rechtsschutz zu gewähren, wenn dies im Interesse eines effektiven Rechtsschutzes geboten erscheint und die Hauptsache dadurch nicht vorweggenommen wird. Dies ist jedoch nur dann der Fall, wenn deutliche Anhaltspunkte für eine klar erkennbare Verfassungswidrigkeit der entsprechenden Norm bestehen.

3. Es ist Arbeitnehmern grundsätzlich zumutbar, einer arbeitgeberseitigen Weisung zunächst Folge zu leisten, auch wenn sie für rechtswidrig gehalten wird. Die Überprüfung der Weisung kann im Hauptsacheverfahren geltend gemacht werden, stellt aber keinen Verfügungsgrund für eine einstweilige Verfügung dar.

Die Entscheidung befasst sich mit der Frage der Zumutbarkeit einer Abordnung zu einer anderen Behörde als Erprobung auf der Grundlage von § 37a StUG. Außerdem wird zur Reichweite der Prüfungskompetenz des erkennenden Gerichts im vorläufigen Rechtsschutz Stellung genommen, wenn sich der Kläger auf die Verfassungswidrigkeit der Norm beruft, die zu einer ihn betreffenden Maßnahme (Versetzung) ermächtigt.

A.     Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Die Parteien streiten im vorläufigen Rechtsschutz um den Erlass einer einstweiligen Verfügung mit dem Inhalt, die beklagte Behörde des BStU zu verpflichten, den Kläger bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in dem Hauptsacheverfahren weiterhin als Verwaltungsangestellten in der Behörde zu beschäftigen. Er war bisher Mitarbeiter der Beklagten und dort als Pförtner eingesetzt und früher Objektschützer für das ehemalige MfS. Die Beklagte ordnete den Kläger für die Dauer von sechs Monaten zum BVA (Bundesverwaltungsamt) ab. Es wurde erklärt, die Abordnung erfolge mit dem Ziel der Versetzung. Eine weitergehende Begründung enthielt das Schreiben nicht. Der neue Einsatzort lag etwa 500 Meter vom bisherigen Arbeitsplatz des Klägers entfernt. Die Abordnung erfolgte auf der Grundlage des § 37a StUG, den der Gesetzgeber als eine Ergänzung des StUG im Jahre 2011 beschlossen hatte. Die Vorschrift regelt, dass die Beschäftigung ehemaliger MfS-​Mitarbeiter in der Stasi-​Unterlagenbehörde nicht erfolgen und die entsprechenden Mitarbeiter nach einer Zumutbarkeitsprüfung in andere Behörden versetzt werden sollten.

Der Personalrat und der Hauptpersonalrat der Beklagten hatten der ursprünglichen Abordnung von ehemaligen MfS-​Mitarbeitern nicht zugestimmt, so dass die Beklagte die Einigungsstelle anrief. Diese entschied, dass der Hauptpersonalrat seine Zustimmung nicht hätte verweigern dürfen. Die Einigungsstelle regte an, von einer Abordnung abzusehen, wenn der betroffene Beschäftigte bei Beginn der Maßnahme 63 Jahre und älter sei. Der Anregung folgte die Beklagte. Der Kläger wurde danach zu der beabsichtigten Abordnung angehört und hat sich schriftlich dagegen gewandt. Die Beklagte nannte danach dem Kläger ihre Gründe für ein Festhalten an der beabsichtigten Abordnung. Der Personalrat des BVA hat der Abordnung für die Dauer von sechs Monaten mit dem Ziel der Versetzung in das Bundesverwaltungsamt zugestimmt.

Der Kläger hält § 37a StUG für verfassungswidrig. Er meint, die Versetzung sei schon aus formeller Sicht unwirksam, da es an einer Begründung fehle, es gebe auch keine dienstlichen Gründe. Ihm könne eine Versetzung nicht zugemutet werden, da er ohnehin schon durch die Diskussion über die Verwendung ehemaliger MfS-​Mitarbeiter beim Stasiunterlagenbeauftragten derart gelitten habe, dass er erhebliche gesundheitliche Beeinträchtigungen habe, die durch die Durchführung der Abordnung noch verstärkt würden. Die Beklagte hält § 37a StUG für verfassungskonform. Dem Kläger sei zumutbar, bis zur Klärung der Rechtsfragen im Hauptsacheverfahren seine Tätigkeit aufzunehmen.

Das ArbG Berlin hat den zulässigen Antrag des Klägers als unbegründet zurückgewiesen.

Der Umstand, dass die Entscheidung, den Kläger abzuordnen, in dem Schreiben selbst nicht begründet worden sei, begründe nicht die Rechtswidrigkeit der arbeitgeberseitigen Weisung. Es handele sich vielmehr um die Ausübung des arbeitgeberseitigen Weisungsrechts in einer besonderen Form, die nicht in der schriftlichen Weisung selbst begründet werden muss, da hierfür die Grundsätze des Arbeitsrechtes und nicht des Verwaltungsrechtes gelten.

Eine Verfassungswidrigkeit von § 37a StUG könne im Eilverfahren nicht festgestellt werden, da deutliche Anhaltspunkte für eine evidente Verfassungswidrigkeit der Norm des § 37a StUG nicht klar erkennbar seien. Die Vorschrift sei vom Gesetzgeber beschlossen und vom Bundespräsidenten unterzeichnet worden, so dass es eingehender Prüfung bedürfe, ob eine solche, nach langer Diskussion gefundene Regelung mit dem Grundgesetz vereinbar sei. Diese eingehende Überprüfung sei in Ermangelung evidenter Anhaltspunkte für eine Verfassungswidrigkeit der anzuwenden Vorschrift dem Hauptsacheverfahren zu überantworten. Eine evidente Rechtswidrigkeit könne auch nicht festgestellt werden. Vielmehr habe der Kläger im Vorfeld seine Bedenken schriftlich geäußert, der Personalrat und der Hauptpersonalrat der Beklagten hatten mit umfangreicher Begründung der Abordnung widersprochen und die Einigungsstelle habe sich mit den Argumenten intensiv beschäftigt. Auch habe der Personalrat des BVA nach Prüfung seine Zustimmung erteilt.

Die Abordnung sei auch zumutbar. Zwar liege hier keine Versetzung vor. Die Abordnung sei aber als milderes Mittel in § 37a StUG mitenthalten. Im vorliegenden Fall habe sich die Beklagte zunächst bewusst für das mildere Mittel entschieden, um zu erproben, ob eine anschließende Versetzung auch tatsächlich zumutbar sei. So habe es in der Vergangenheit durchaus schon Fälle gegeben, in denen die Abordnung zurückgenommen worden sei. Die Versetzung als solche sei also mitnichten bereits beschlossen gewesen.

Der Umstand, dass die Beklagte die von der Einigungsstelle vorgeschlagene Altersgrenze beachte, sei sachgerecht. Die Verwendung einer Stichtagsklausel mache die Regelung nicht unwirksam. Solche Klauseln seien notwendig und bewegten sich im Rahmen des Ermessens der Behörde.

Schließlich sah das Gericht auch keinen Verfügungsgrund, sondern stellte fest, es sei Arbeitnehmern grundsätzlich zuzumuten, einer arbeitgeberseitigen Weisung zunächst Folge zu leisten, auch wenn sie sie für rechtswidrig hielten. Abweichungen von diesem Grundsatz würden von der Rechtsprechung nur in bestimmten, vom Arbeitnehmer darzulegenden und glaubhaft zu machenden Ausnahmefällen angenommen, in denen der Arbeitnehmer ein gesteigertes Abwehrinteresse habe. Dies könne der Fall sein, wenn sich die Weisung etwa als offensichtlich unwirksam herausstellen sollte, sich der Arbeitnehmer erheblichen Gesundheitsgefahren aussetzen würde, die Tätigkeiten sein berufliches Ansehen irreparabel schädigten oder ihn in schwere Gewissenkonflikte bringen würden. All dieses sei hier nicht gegeben. Der Sachvortrag des Klägers in Bezug auf mögliche Repressalien am neuen Arbeitsplatz wegen seiner früheren Tätigkeit für das MfS sei zwar subjektiv nachzuvollziehen, aber unsubstantiiert und nicht glaubhaft.

Angesichts der Gesamtumstände (der grundsätzlichen Beibehaltung der Tätigkeit, keine Entgeltminderung, Entfernung zum neuen Arbeitsplatz von lediglich 500 Metern) erscheine eine Versetzung nicht so gravierend, dass der Kläger sich hiergegen schützen müsse. Es sei dem Verfügungskläger vielmehr zuzumuten, die neue Tätigkeit zunächst anzutreten und seine Rechte im Hauptverfahren zu vertreten.

Der Kläger hat Berufung beim LArbG Berlin-​Brandenburg eingelegt (Az.: SaGa 1468/14).

B.     Kontext der Entscheidung

Das ArbG Berlin bezieht sich in seinen Ausführungen zum Verfügungsgrund im Zusammenhang mit dem Direktionsrecht des Arbeitgebers auf die gefestigte Rechtsprechung, dass eine für rechtswidrig gehaltene Weisung, sofern sie nicht evident rechtswidrig ist, zunächst zu befolgen ist. Die eingehende Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Weisung sei dem Hauptsacheverfahren vorbehalten (so auch LArbG Frankfurt, Urt. v. 15.02.2011 – 13 SaGa 1934/10 Rn. 49; LArbG Hamm, Urt. v. 05.02.2008 – 11 SaGa 4/08; LArbG Chemnitz, Beschl. v. 26.10.2005 – 2 Sa 641/05). Eine Ausnahme von diesem Grundsatz werde nur dann gemacht, wenn der Arbeitnehmer ein gesteigertes Abwehrinteresse, beispielsweise bei irreparabler Rufschädigung durch die Befolgung der Weisung, besitze (so auch LArbG Mainz v. 09.02.2011 – 7 Ta 4/11 Rn. 35; LArbG Hamm, Urt. v. 05.02.2008 – SaGa 4/08; LArbG Berlin-​Brandenburg, Urt. v. 12.08.2008 – 16 SaGa 1366/08). Das ArbG Berlin schließt sich in seiner hier besprochenen Entscheidung dieser wohl als herrschende Meinung zu bezeichnenden Rechtsprechung vorbehaltlos an und verneint ein gesteigertes Abwehrinteresse des Verfügungsklägers und damit auch den Verfügungsgrund und die Notwendigkeit einer Entscheidung im Eilverfahren.

Außerdem wird der Beschluss des BVerfG vom 24.06.1992 (1 BVR 1028/91) zur Vorlagepflicht im Eilverfahren in die Entscheidungsfindung einbezogen. Das ArbG Berlin machte jedoch von der ihm eingeräumten Kompetenz, vor der im Hauptsacheverfahren einzuholenden Entscheidung des BVerfG zunächst vorläufigen Rechtsschutz zu gewähren, keinen Gebrauch. Es sah hierzu keine Veranlassung, da die in Rede stehende Norm des § 37a StUG nicht evident rechtswidrig schien.

C.     Auswirkungen für die Praxis

Die Entscheidung des ArbG Berlin zeigt, wie schwierig es ist, den Verfügungsanspruch im vorläufigen Rechtsschutz bzw. Eilverfahren auf die Rechtswidrigkeit einer gesetzlichen Vorschrift zu stützen. Die Instanzgerichte werden nur selten willens und in der Lage sein, eine Rechtsnorm als evident rechtswidrig zu bezeichnen. Insoweit verlangte man auch nahezu Unmögliches, denn die Prüfung der formellen und materiellen Verfassungsmäßigkeit einer Vorschrift ist kompliziert und zeitaufwendig. Zeit indes ist im Eilverfahren kaum vorhanden, so dass der Vortrag, eine entscheidungserhebliche Norm sei rechtswidrig, nur höchst selten verfangen dürfte.

Im Übrigen sollte der Sachvortrag, wie eigentlich immer, hinreichend substantiiert sein, um ihn gegenüber dem erkennenden Gericht glaubhaft zu machen. Es zieht sich wie ein roter Faden durch die Entscheidungen der Gerichte, dass vorgebrachte Gründe mangels Substantiiertheit nicht tragen. So war es auch hier. Der Verfügungskläger behauptete einfach, ihm würden Repressalien aufgrund seiner Tätigkeit als Objektschützer für das MfS zu Zeiten der DDR drohen, falls man ihn in eine andere Behörde versetzte. Belegen konnte er diese Behauptung freilich nicht, so dass er auch insoweit keinen Verfügungsanspruch glaubhaft machen konnte.

Nachdem die Abordnung zum BVA nur auf Zeit erfolgte, hätte das ArbG Berlin noch diskutieren können, ob überhaupt ein Rechtsschutzbedürfnis im Eilverfahren bestand. Die Maßnahme der Abordnung zum BVA war erkennbar nur zur Erprobung angeordnet worden. Eine Unumkehrbarkeit war nicht mit ihr verbunden, so dass ein Rechtsschutzbedürfnis im Eilverfahren eigentlich gar nicht bestand. Hier legte das ArbG Berlin keinen sonderlich hohen Maßstab an. Dies geschah wahrscheinlich vor dem Hintergrund, überhaupt erst in die Sachprüfung gelangen zu wollen, um dort detailliert dazulegen, warum vorläufiger Rechtsschutz nicht gewährt werden könne.

Rechtswegzuständigkeit für Klagen von Handelsvertretern

Ein sowohl das Arbeitsrecht als auch das Handelsrecht betreffendes Thema ist die Unterscheidung zwischen Arbeitnehmer und Handelsvertreter. Die Abgrenzung wird insbesondere dann relevant, wenn es um die Frage des einzuschlagenden Rechtswegs geht. Grundsätzlich müssen Handelsvertreter vor den ordentlichen Gerichten klagen und verklagt werden. Für Verfahren von oder gegen Arbeitnehmer i.S.v. § 5 Abs. 1 Satz 1 ArbGG gilt hingegen die Sonderzuständigkeit der Arbeitsgerichte gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 3 lit. a ArbGG. Diese arbeitsgerichtliche Sonderzuständigkeit gilt gemäß § 5 Abs. 3 ArbGG auch für solche Handelsvertreter, die als Einfirmenvertreter handeln und nicht mehr als 1.000 Euro monatlich an Vergütung einschließlich Provision und Aufwendungsersatz bezogen haben.
Das LArbG Frankfurt setzte sich vor diesem Hintergrund mit der grundsätzlichen Frage auseinander, ob der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten auch für solche Handelsvertreter eröffnet sein kann, die zwar keine Arbeitnehmer gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 ArbGG und auch keine Einfirmenvertreter gemäß § 5 Abs. 3 ArbGG sind, sondern sich allein auf ihre Eigenschaft als arbeitnehmerähnliche Personen gemäß § 5 Abs. 1 Satz 2 ArbGG berufen.


Anmerkung zum Beschluss des LArbG Frankfurt vom 06.11.2013, 12 Ta 252/13 von Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Christoph J. Burgmer und Rechtsanwalt Rüdiger Soltyszeck, LL.M.

Leitsatz

Liegen im Falle eines freien Handelsvertreters die Voraussetzungen der § 5 Abs. 3 ArbGG, § 92a HGB nicht vor, ist die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte gegeben.

§ 5 Abs. 3 ArbGG enthält eine für Handelsvertreter in sich geschlossene Regelung, die der Regelung in § 5 Abs. 1 ArbGG für arbeitnehmerähnliche Personen vorgeht.

A.     Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Der Kläger berief sich in der Beschwerdeinstanz weder auf den Fortbestand des früheren Anstellungsvertrags noch darauf, entgegen der Absprachen im Handelsvertretervertrag nach den tatsächlichen Umständen als weisungsabhängiger Arbeitnehmer beschäftigt gewesen zu sein. Er machte lediglich noch geltend, im Vertragsverhältnis mit der Beklagten den Status einer arbeitnehmerähnlichen Person gemäß § 5 Abs. 1 Satz 2 ArbGG gehabt zu haben.

Die Beklagte betreibt bundesweit Einzelhandelsgeschäfte für Lebensmittel. Nachdem der Kläger zunächst im Jahr 2005 als filialverantwortlicher Marktleiter angestellt worden war, hoben die Parteien einvernehmlich im Jahr 2010 diesen Arbeitsvertrag auf und schlossen gleichzeitig einen Handelsvertretervertrag nebst Zusatzverträgen (Untermietvertrag für die Geschäftsräume, Mietvertrag über Inventar), auf dessen Grundlage der Kläger die Filiale als selbstständiger „Marktinhaber“ führte.

Später erhob der Kläger Klage auf Zahlung der Differenz zwischen seiner vorherigen Vergütung als Arbeitnehmer und dem später erzielten Handelsvertretereinkommen. In diesem Rahmen waren auch die Frage der Arbeitnehmereigenschaft des Klägers und die damit zusammenhängende Frage des Rechtswegs zu klären.

Der Kläger vertrat die Ansicht, er sei auch nach Abschluss des Handelsvertretervertrages arbeitnehmerähnliche Person gewesen, da sich in seinem Arbeitsalltag gegenüber seiner angestellten Tätigkeit als Marktleiter nichts geändert habe. Hingegen war die Beklagte der Ansicht, zwischen den Parteien habe ein freies Handelsvertreterverhältnis bestanden.

Das ArbG Wiesbaden hat die Rechtswegzuständigkeit der Arbeitsgerichte für die vom Kläger eingereichte Zahlungsklage verneint und den Rechtsstreit an das LG Fulda verwiesen. Das LArbG Frankfurt hat die sofortige Beschwerde des Klägers als unbegründet zurückgewiesen.

In der Begründung stützte sich das Gericht im Wesentlichen darauf, dass § 5 Abs. 3 ArbGG der Anwendung des § 5 Abs. 1 ArbGG entgegenstehe, da § 5 Abs. 3 ArbGG für Handelsvertreter als lex specialis gegenüber den Grundsätzen zum Status der arbeitnehmerähnlichen Person in § 5 Abs. 1 ArbGG angesehen werde. Der Kläger erfülle zudem nicht die Voraussetzungen, um gemäß § 5 Abs. 3 ArbGG, § 92a HGB trotz seiner Stellung als Handelsvertreter als Arbeitnehmer im Sinne des Arbeitsgerichtsgesetzes angesehen werden zu können.

B.     Kontext der Entscheidung

Gemäß § 13 GVG ist der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten grundsätzlich dann eröffnet, wenn es sich um bürgerliche Streitigkeiten handelt. Hiervon abweichend bestimmt § 2 Abs. 1 Nr. 3 lit. a ArbGG, dass bürgerliche Streitigkeiten zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern vor dem Arbeitsgericht auszutragen sind.

Handelsvertreter ist gemäß § 84 Abs. 1 HGB, wer als selbstständiger Gewerbetreibender ständig damit betraut ist, für einen anderen Unternehmer (Unternehmer) Geschäfte zu vermitteln oder in dessen Namen abzuschließen.

Arbeitnehmer ist nach der ständigen Rechtsprechung des BAG derjenige Mitarbeiter, der seine Dienstleistung im Rahmen einer von Dritten bestimmten Arbeitsorganisation erbringt (BAG, Urt. v. 03.07.1985 – 5 AZR 69/84 Rn. 26; BAG, Urt. v. 13.01.1983 – 5 AZR 149/82 Rn. 25). Insoweit enthält § 84 Abs. 1 Satz 2 HGB ein typisches Abgrenzungsmerkmal. Nach dieser Bestimmung ist selbstständig, wer im Wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann. Unselbstständig und deshalb persönlich abhängig ist also der Mitarbeiter, dem dies nicht möglich ist. Diese unmittelbar nur für die Abgrenzung des selbstständigen Handelsvertreters vom abhängig beschäftigten Handlungsgehilfen geltende Regelung enthält über diesen unmittelbaren Anwendungsbereich hinaus eine allgemeine gesetzgeberische Wertung, die bei der Abgrenzung des Dienstvertrages vom Arbeitsvertrag zu beachten ist, zumal dies die einzige Norm ist, die Kriterien hierfür enthält (BAG, Urt. v. 13.01.1983 – 5 AZR 149/82 Rn. 25). Die Eingliederung in die fremde Arbeitsorganisation zeigt sich insbesondere darin, dass ein Arbeitnehmer hinsichtlich Zeit, Dauer und Ort der Ausführung der versprochenen Dienste einem umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Eine fachliche Weisungsgebundenheit tritt häufig hinzu; sie ist andererseits für Dienste höherer Art nicht immer typisch (BAG, Urt. v. 13.01.1983 – 5 AZR 149/82 Rn. 26).

Das Kriterium der Selbstständigkeit bildet daher das zentrale Merkmal für die Abgrenzung zwischen dem Handelsvertreter und dem Arbeitnehmer sowie anderen unselbstständigen Hilfspersonen, wie dem Handlungsgehilfen gemäß § 59 HGB.

Bei der für die Zuständigkeit der Zivil- bzw. der Arbeitsgerichte bedeutsamen Abgrenzung von selbstständigen Handelsvertretern (§ 81 Abs. 1 HGB) und Unselbstständigen i.S.v. § 84 Abs. 2 HGB, § 5 Abs. 1, Abs. 3 Satz 1 ArbGG bzw. Einfirmenvertretern (§ 92a Abs. 1 HGB) ist weder allein auf die von den Parteien vorgenommene Einordnung des Vertrags oder die dabei gewählte Bezeichnung noch isoliert auf die tatsächliche Durchführung des Vertrags, sondern auf das Gesamtbild der Verhältnisse unter Würdigung sowohl der Vertragsgestaltung als auch der tatsächlichen Handhabung des Vertrags abzustellen (BGH, Beschl. v. 04.03.1998 – VIII ZB 25/97 Rn. 5, 6; Bitz in: Prütting/Gehrlein, ZPO, 4. Aufl. 2012, § 13 Rn. 14).

Selbstständigen Handelsvertretern bleibt der Weg zu den Arbeitsgerichten damit grundsätzlich versagt. Jedoch eröffnet § 5 Abs. 3 ArbGG i.V.m. § 2 Abs. 1 Nr. 3 lit. a ArbGG, § 92a HGB eine arbeitsgerichtliche Sonderzuständigkeit für eine bestimmte Gruppe von Handelsvertretern.

Denn gemäß § 5 Abs. 3 ArbGG gelten Handelsvertreter dann als Arbeitnehmer im Sinne des ArbGG, wenn sie zu dem Personenkreis gehören, für den nach § 92a HGB die untere Grenze der vertraglichen Leistungen des Unternehmers festgesetzt werden kann, und wenn sie während der letzten sechs Monate des Vertragsverhältnisses, bei kürzerer Vertragsdauer während dieser, im Durchschnitt monatlich nicht mehr als 1 000 Euro aufgrund des Vertragsverhältnisses an Vergütung einschließlich Provision und Ersatz für im regelmäßigen Geschäftsbetrieb entstandene Aufwendungen bezogen haben.

Darüber hinaus kann sich ein Handelsvertreter nicht auf die arbeitsgerichtliche Rechtswegeröffnung des § 5 Abs. 1 ArbGG berufen. Denn, wie das LArbG Frankfurt vorliegend in Übereinstimmung mit dem LArbG Hamm (Beschl. v. 20.09.2004 – 2 Ta 644/03) herausstellt, steht der Anwendung des § 5 Abs. 1 ArbGG die Vorschrift des § 5 Abs. 3 ArbGG entgegen. Dieser sperrt als speziellere Regelung für Handelsvertreter die Anwendbarkeit des § 5 Abs. 1 ArbGG. Bereits 1961 hat das BAG zu Art. 3 Abs. 1 HdlVertrG, der Vorgängernorm des § 5 Abs. 3 ArbGG entschieden, dass diese Regelung als Spezialvorschrift der Anwendung des § 5 Abs. 1 Satz 2 ArbGG entgegensteht (BAG, Urt. v. 15.07.1961 – 5 AZR 472/60 Leitsatz 3). Diese Auffassung wird vom BGH geteilt (BGH, Beschl. v. 25.10.2000 – VIII ZB 30/00 Rn. 13).

C.     Auswirkungen für die Praxis

Auch wenn die vorliegend dieser Entscheidung zentral zugrundeliegende Rechtsfrage seit den Sechzigerjahren geklärt scheint, beschäftigt noch heute die Abgrenzungsfrage die erst- und zweitinstanzlichen Gerichte. Um derartige Streitigkeiten zu vermeiden, empfiehlt es sich, möglichst eindeutige vertragliche Regelungen zu treffen. Dabei ist zu beachten, dass es für die Abgrenzung zwischen Arbeitnehmer und Handelsvertreter nicht allein auf die von den Parteien gewählten Bezeichnungen oder die vorgenommene Einordnung des Vertrags ankommt, sondern das Gesamtbild der Verhältnisse unter Berücksichtigung der tatsächlichen Durchführung maßgeblich ist.

Reichweite des Auskunftsrechts für Wahlvorstand bei möglicher Nichtigkeit der Wahl

Das LArbG Hamm hatte im Rahmen eines Verfahrens auf Erlass einer einstweiligen Verfügung über den Antrag eines Wahlvorstandes zu entscheiden, ihm eine Liste der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zur Verfügung zu stellen. Inzident musste dabei überprüft werden, ob eine nichtige Wahl beabsichtigt war, weil der Arbeitgeber behauptete, der Wahlvorstand habe den Betriebsbegriff verkannt, und daher sei der Antrag unzulässig.


Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Christoph J. Burgmer kommentiert einen Beschluss des LArbG Hamm 04.04.2014, 13 TaBVGa 9/14, in juris PR-ArbR 28/2014

Orientierungssatz zur Anmerkung

Ein Antrag eines Wahlvorstandes, ihm im Rahmen eines Verfahrens auf Erlass einer einstweiligen Verfügung eine Liste der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nach § 2 Abs. 1 Satz 1 WO zur Verfügung zu stellen, ist in dem Umfang abzuweisen, wie die Wahl des Betriebsrates voraussichtlich nichtig sein würde. Ein solcher Antrag ist auf die betrieblichen Einheiten zu beschränken, bei denen grobe und offensichtliche Fehler, die zur Nichtigkeit der Wahl führen würden, nicht erkennbar sind.

A.     Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Der Arbeitgeber ist ein gemeinnütziger, karitativ tätiger Verein mit insgesamt rund 2.000 Arbeitnehmern. Er bietet unterschiedliche Leistungen im Bereich der Eingliederungshilfe sowie der Jugendhilfe in mehr als 40 überregional verteilten Einrichtungsverbünden an, die auf das nördliche und südliche Westfalen sowie das Ruhrgebiet verteilt sind. Der Arbeitgeber hat die „Betriebsführung und Verwaltung der Einrichtungen“ auf drei als gGmbHs ausgegründete Tochtergesellschaften übertragen, getrennt nach drei Regionen Westfalen-​Nord, Westfalen-​Süd und Ruhrgebiet. Die gGmbHs stehen den regional zugeordneten Einrichtungsverbünden und den ihnen zugeordneten Häusern und Diensten vor. Jeder Einrichtungsverbund wird jeweils von einem Einrichtungsleiter geleitet. In den abgeschlossenen sog. Anschluss-​Betriebsführungsverträgen heißt es unter § 3 „Arbeits- und Dienstverhältnisse“:

„1. … Neuabschlüsse und Änderungen von Arbeitsverträgen mit Arbeitnehmern der Einrichtungen erfolgen durch die GmbH im Namen und für Rechnung des e.V.,

2. Zum Zwecke der Betriebsführung übernimmt die GmbH in Vertretung des e.V. gegenüber den in den Einrichtungen tätigen Mitarbeitern Arbeitgeberfunktion wahr mit disziplinarischem und fachlichem Weisungsrecht. ( … ).“

Die Geschäftsführer der jeweils mit der Betriebsführung beauftragten gGmbHs haben allen Einrichtungsleitern schriftlich Vollmachten namentlich für die Durchführung mitbestimmungsrechtlicher und personeller Maßnahmen erteilt.

Auf einer Betriebsversammlung am 29.01.2014 „für die Wahl eines Wahlvorstandes zur Durchführung der Betriebsratswahl im Geschäftsbereich Westfalen-​Süd“ wurde in Anwesenheit von über 100 Arbeitnehmern ein Wahlvorstand für die Region Westfalen-​Süd gewählt.

Der gewählte Wahlvorstand verfolgt im vorliegenden Verfahren das Ziel, vom Arbeitgeber die für die Ausfertigung der Wählerliste erforderlichen Auskünfte zu erhalten, da er die Region Westfalen-​Süd als betriebliche Einheit wahrnimmt. Für sie bestehe eine Gebietsleitung, deren Mitglieder in Personalunion auch Geschäftsführer der entsprechenden gGmbH seien und die Betriebsführungsverantwortung für die gesamte Region wahrnehmen würden.

Der Wahlvorstand hat beantragt, den Arbeitgeber zu verpflichten, ihm eine Wählerliste für die Einrichtungen seiner Region Westfalen-​Süd in Papierform zur Verfügung zu stellen. Das Arbeitsgericht hat mit Beschluss vom 21.02.2014 dem Antrag des Wahlvorstandes stattgegeben.

Der Arbeitgeber vertrat die Auffassung, es sei ersichtlich eine nichtige Wahl beabsichtigt. So liege offensichtlich eine Verkennung des Betriebsbegriffs vor. Alle betriebsverfassungsrechtlich relevanten Entscheidungen würden nämlich selbstständig von den Einrichtungsleitern getroffen, so dass dort für die einzelnen Betriebe ein Betriebsrat zu wählen sei; im Übrigen müssten die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 1 BetrVG beachtet werden. In der Beschwerdeinstanz vertrat der Arbeitgeber weiterhin die Ansicht, es bestehe keine Auskunftspflicht nach § 2 Abs. 1 Satz 1 WO, da das begonnene Verfahren auf eine nichtige Wahl ausgerichtet sei. So seien inzwischen in bestimmten Einrichtungen des Geschäftsbereichs Westfalen-​Süd zwei Betriebsräte und ein weiterer Wahlvorstand gebildet worden, so dass die Wahl des beabsichtigten „Regionalbetriebsrates“ rechtlich nicht mehr möglich sei.

Das LArbG Hamm hat die Beschwerde des Arbeitgebers nur zum Teil als begründet angesehen. Nach der in Bezug genommenen Rechtsprechung des BAG (Beschl. v. 27.07.2011 – 7 ABR 61/10 – AP Nr 2 zu § 16 BetrVG 1972) dürfe ein Verfahren zur Ermöglichung der Wahl eines Betriebsrats, wozu namentlich auch die Erteilung von Auskünften im Rahmen des § 2 Abs. 1 Satz 1 WO gehört, nur bei einer zu erwartenden Nichtigkeit der Wahl abgebrochen werden. Voraussetzung dafür sei, dass offensichtlich gegen allgemeine Grundsätze jeder ordnungsgemäßen Wahl in so hohem Maße verstoßen werde, dass auch der Anschein einer dem Gesetz entsprechenden Wahl nicht mehr bestehe. Davon sei hier insoweit auszugehen, soweit sich das Verfahren zur Wahl eines einheitlichen Betriebsrates für den Bereich Westfalen-​Süd auch auf die beiden Organisationseinheiten beziehe, in denen zwischenzeitlich Betriebsräte gewählt wurden. Da dort zwei rechtmäßig gebildete Betriebsräte existierten, dürfte für deren Zuständigkeitsbereiche keine weitere Betriebsvertretung gewählt werden. Daraus resultiere als notwendige Rechtsfolge, dass die angestrebte regionalweite Wahl eines einheitlichen Betriebsrates insoweit als nichtig einzustufen sei, sofern sie auch die beiden genannten Teilbereiche erfasse. Nur so könne nämlich das gleichzeitige Bestehen mehrerer Betriebsräte mit den damit verbundenen Unklarheiten für die Wahrnehmung bestehender Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte verhindert werden (vgl. BAG, Beschl. v. 11.04.1978 – 6 ABR 22/77 – AP Nr 8 zu § 19 BetrVG 1972; LArbG Hamm, Beschl. v. 17.08.2007 – 10 TaBV 37/07; LArbG Hannover, Beschl. v. 02.12.2011 – 6 TaBV 29/11). Daher sei der Antrag bezogen auf die Teilbereiche, in denen bereits Betriebsräte gebildet worden seien, wegen Nichtigkeit abzuweisen.

Im Übrigen seien keine offensichtlichen und zugleich besonders groben Verstöße gegen bestehende Wahlvorschriften ersichtlich. So sei gegebenenfalls in einem Anfechtungsverfahren zu klären, welche Bedeutung es für den Bestand und die Zuständigkeit des antragstellenden Wahlvorstandes habe, dass nach dessen am 29.01.2014 erfolgter Wahl für die gesamte Region Westfalen-​Süd in der Folgezeit für zwei Teilbereiche dieser Region Betriebsratswahlen durchgeführt wurden, die nicht angefochten wurden. Entsprechendes gelte auch für die Etablierung des Wahlvorstandes, dessen Wahl noch nach Erlass der Entscheidung erster Instanz erfolgen konnte, ohne den unmittelbar bevorstehenden abschließenden Beschluss der erkennenden Kammer abzuwarten. Schließlich habe auch eine mögliche Verkennung des Begriffs der betriebsratsfähigen Organisationseinheit im Rahmen der Bestimmungen des § 1 Abs. 1 Satz 1 BetrVG und § 4 Abs. 1 BetrVG keine Nichtigkeit der angestrebten Betriebsratswahl zur Folge (vgl. BAG, Beschl. v. 27.07.2011 – 7 ABR 61/10 – AP Nr 2 zu § 16 BetrVG 1972). Denn dabei sei eine Vielzahl von Gesichtspunkten des jeweiligen Einzelfalls zu beachten. Komme es insoweit zu Fehlern, seien diese regelmäßig nicht derart grob und offensichtlich, dass der Anschein einer dem Gesetz entsprechenden Wahl nicht mehr bestehe. Daher sei der Arbeitgeber verpflichtet, die verlangten Auskünfte für die Region Westfalen-​Süd mit Ausnahme der Einheiten zu erteilen, in denen bereits Betriebsräte gewählt worden sind.

B.     Kontext der Entscheidung

Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 WO hat der Wahlvorstand für jede Betriebsratswahl eine Liste der Wahlberechtigten (Wählerliste), getrennt nach den Geschlechtern, aufzustellen. Hierzu hat der Arbeitgeber gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 WO dem Wahlvorstand alle für die Anfertigung der Wählerliste erforderlichen Auskünfte zu erteilen und die erforderlichen Unterlagen zur Verfügung zu stellen. Soweit eine geplante Wahl nichtig wäre, können auch darauf gerichtete Auskunftsansprüche nicht wirksam durchgesetzt werden. Insoweit musste das LArbG Hamm die Frage der Nichtigkeit der Wahl als Vorfrage klären.

Die Beurteilung der Vorfrage der Nichtigkeit der Wahl reiht sich die 13. Kammer des LArbG Hamm in die ständige Spruchpraxis der Landesarbeitsgerichte ein, wonach eine Wahl nur dann im Wege eines einstweiligen Verfügungsverfahrens als nichtig angesehen werden kann, wenn der Rechtsverstoß, hier die Verkennung des Betriebsbegriffs, grob und evident ist, sozusagen auf der Hand liegt. Ist dies nicht der Fall, muss die Frage in das Anfechtungsverfahren verlagert und dort beantwortet werden. In einem solchen Fall ist der Auskunftsanspruch des Wahlvorstandes begründet und kann im einstweiligen Verfügungsverfahren durchgesetzt werden. Zu Recht erkennt das LArbG Hamm, dass dort, wo ein Betriebsrat bereits gebildet und dessen Wahl nicht angefochten worden ist, die Wahl eines weiteren Betriebsrats unzulässig ist (BAG, Beschl. v. 11.04.1978 – 6 ABR 22/77; LArbG Hamm, Beschl. v. 14.03.2005 – 10 TaBV 31/05). Wahlhandlungen, die auf die Wahl eines konkurrierenden Betriebsrates gerichtet sind, sind unzulässig. Eine solche Wahl wäre wegen grober Verkennung des Betriebsbegriffs als nichtig einzustufen. Diese Frage kann auch im einstweiligen Verfügungsverfahren beantwortet und muss nicht in ein Anfechtungsverfahren verlagert werden.

Die 13. Kammer des LArbG Hamm hat daher im ersten Schritt basierend auf diesen Grundsätzen erkannt, dass die beabsichtigte Wahl in der Region Westfalen-​Süd grob fehlerhaft wäre, weil dort für zwei betriebliche Einheiten Betriebsräte gewählt sind und deren Wahl nicht angefochten worden ist. Im zweiten Schritt hat es den Antrag des Wahlvorstandes auf Auskunft auf die betrieblichen Einheiten beschränkt, in denen noch keine Betriebsratswahl durchgeführt worden war. Für die verbleibenden Bereiche könne die begehrte Auskunft erteilt werden, da insoweit eine beabsichtigte Wahl nicht nichtig wäre. Für die Bereiche, in denen Betriebsräte gewählt seien, sei der Auskunftsanspruch unbegründet, da eine diese Einheiten erfassende Wahl des Betriebsrates nichtig sei.

Dieser Beschluss korrespondiert mit der Entscheidung des LArbG Hamm vom gleichen Tage (13 TaBVGa 8/14), in der es den Antrag des Arbeitgebers, das eingeleitete Verfahren zur Durchführung der Wahl eines einheitlichen Betriebsrats in der Region Westfalen-​Süd abzubrechen und nicht fortzuführen und jede weitere Handlung zu unterlassen, die auf die Durchführung der Betriebsratswahl eines einheitlichen Betriebsrats in der Region Westfalen-​Süd innerhalb des Sozialwerks St. H e.V. gerichtet ist, im Wesentlichen abgewiesen und dem Wahlvorstand aufgegeben hat, soweit sich das Wahlverfahren auch auf die Teilbereiche bezieht, in denen bereits Betriebsräte gewählt und ein Wahlvorstand gebildet worden ist, es wegen Nichtigkeit abzubrechen. Im Übrigen lägen aber keine Gründe für ein Unterlassen weiterer Handlungen zur Fortführung des begonnenen Wahlverfahrens vor.

Die Entscheidung lässt indes eine Auseinandersetzung mit der Frage vermissen, ob und in welchem Umfang das Gericht im einstweiligen Verfügungsverfahren den Antrag des antragstellenden Wahlvorstandes abändern darf. Der Wahlvorstand war für die Durchführung der Wahl des Betriebsrates für den Betrieb Region Westfalen-​Süd gebildet und wollte mit seinem Antrag die hierfür erforderliche Auskunft sicherstellen. Die Wahl sollte nicht für einen anderen oder verkleinerten Betrieb durchgeführt werden. Sein Ziel kann der Wahlvorstand nicht mehr erreichen, weil ihm keine vollständige Wählerliste der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der Region Westfalen-​Süd zur Verfügung gestellt werden muss. Die für den Betrieb der Region Westfalen-​Süd geplante Wahl müsste folgerichtig abgebrochen und für einen (verkleinerten) anderen Betrieb neu eingeleitet werden.

Im Lichte dieser materiellen Rechtslage hätte die 13. Kammer des LArbG Hamm prüfen müssen, wie mit dem vom Wahlvorstand gestellten Sachantrag umzugehen war. Ungeachtet des in § 938 Abs. 1 ZPO eingeräumten Ermessens ist ein Gericht nicht gänzlich frei in der Wahl, mit welchen Maßnahmen es dem erkennbaren Rechtsschutzziel Geltung verschafft (vgl. Zöller/Vollkommer, ZPO, § 938 Rn. 2, m.w.N.). Das Ermessen wird durch den auch im einstweiligen Verfügungsverfahren geltenden Antragsgrundsatz (vgl. § 308 Abs. 1 ZPO) beschränkt mit der Folge, dass dem Antragsteller nur das Beantragte oder ein Weniger (sog. minus) zugesprochen werden kann, nicht aber ein Anderes (sog. aliud) oder ein Mehr (vgl. LArbG Erfurt, Beschl. v. 10.04.2001 – 5 Sa 403/2000 Rn. 95). Die Grenze dürfte dann überschritten sein, wenn der Arbeitgeber statt zu einer Auskunft über die Wählerliste des Betriebes Region Westfalen-​Süd zur Auskunft über eine Wählerliste eines nicht wesensgleichen verkleinerten oder eines anderen Betriebs verpflichtet wird, auch wenn der zuerkannte Teil der Liste eine Teilmenge der ursprünglich beantragten Liste darstellt. Denn mit dieser Liste kann der Wahlvorstand sein Ziel, die Wahl im Betrieb Region Westfalen-​Süd, nicht (mehr) erreichen. Ein Betrieb, der weniger betriebliche Einheiten umfasst, ist kein minus, sondern ein aliud. Folglich ist auch eine Wählerliste, die betriebliche Einheiten entgegen dem gestellten Antrag ausnimmt, ein aliud und kein minus. Eine schlichte Beschränkung des Auskunftsanspruchs ist deshalb prozessual bedenklich.

C.     Auswirkungen für die Praxis

Diese Entscheidung führt die ständige Rechtsprechung fort: Soweit die beabsichtigte Wahl den groben und evidenten Rechtsverstoß nicht „auf der Stirn“ trägt, kann eine Wahl durchgeführt werden. Etwaige Rechtsfragen müssen dann im nachfolgenden Wahlanfechtungsverfahren geklärt werden. Neu ist: Beantragt der Wahlvorstand eine Wahlhandlung, hier ein Auskunftsverlangen, das nur teilweise auf eine nichtige Wahl ausgerichtet ist, so soll das Gericht bei Erlass einer einstweiligen Verfügung auf das zulässige Maß reduzieren dürfen.

Arbeitgeber oder sonstige Beteiligte, die mit der Einschätzung eines Wahlvorstandes über die Betriebsratsfähigkeit einer betrieblichen (Teil-​)Einheit nicht einverstanden sind, sind gehalten, jede durchgeführte Wahl des Betriebsrates anzufechten, die innerhalb der vom Arbeitgeber als Betrieb qualifizierten betrieblichen Einheit erfolgt ist. Nur dann, wenn jede Wahl angefochten ist, kann am Ende der Weg für die spätere rechtliche Beurteilung der Betriebsratsfähigkeit der gesamten betrieblichen Einheit offengehalten werden (BAG, Beschl. v. 14.11.2001 – 7 ABR 40/00).

D.     Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung

Nach § 83 Abs. 3 ArbGG sind alle diejenigen Stellen zu hören, die durch die begehrte Entscheidung in ihrer betriebsverfassungsrechtlichen Stellung unmittelbar betroffen sind (zuletzt BAG, Beschl. v. 10.12.2013 – 1 ABR 43/12). Deshalb waren hier neben dem antragstellenden Wahlvorstand und dem Arbeitgeber die bereits gewählten Betriebsräte sowie der für einen weiteren Betrieb gebildete Wahlvorstand zu beteiligen, weil sich aus der begehrten gerichtlichen Entscheidung, die sich auf die gesamte Region Westfalen-​Süd bezieht, unmittelbar auch Konsequenzen für die von den drei betriebsverfassungsrechtlichen Organen reklamierten Zuständigkeiten für Teilbereiche der genannten Region hätten ergeben können.

Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei Anordnung der Einreichung ärztlicher Arbeitsunfähigkeitsatteste

Nach § 5 Abs. 1 Satz 2 EFZG ist ein Arbeitnehmer verpflichtet, im Fall länger als drei Tage andauernder krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit dem Arbeitgeber ein ärztliches Attest vorzulegen.
Das LArbG Berlin-​Brandenburg hatte sich mit der Frage zu befassen, ob dem Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht zusteht, wenn der Arbeitgeber seine Mitarbeiter dazu auffordert, auch schon vor dem Ablauf dieser drei Tage der Arbeitsunfähigkeit ein Attest vorzulegen.


Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht, Christoph J. Burgmer und Rechtsanwalt Hans Rüdiger Soltyszeck, LL.M., kommentieren einen Beschluss des LArbG Berlin-Brandenburg 3. Kammer, Beschluss vom 19.06.2012 – 3 TaBV 2149/11, in juris PR-ArbR 45/2012

Orientierungssätze

1. Der für das Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG erforderliche kollektive Tatbestand ist nicht nur gegeben, wenn der Arbeitgeber allen Arbeitnehmern auferlegt, bereits vom ersten Tag der Arbeitsunfähigkeit an eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorzulegen. Es genügt, wenn sich eine Regelungsfrage stellt, die über eine ausschließlich einzelfallbezogene Rechtsausübung hinausgeht und kollektive Interessen der Arbeitnehmer des Betriebes berührt (hier Mitbestimmungsrecht hinsichtlich der Erteilung von Attestauflagen bejaht).

2. § 5 Abs. 1 Satz 3 EntgFG stellt keine das Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG ausschließende Regelung dar, weil es dem Arbeitgeber einen Regelungsspielraum hinsichtlich der Frage eröffnet, ob und wann die Arbeitsunfähigkeit vor dem vierten Tag nachzuweisen ist. Auch in § 96 Abs. 1 BBG wird nicht abschließend bestimmt, auf welche Weise Dienstunfähigkeit infolge von Krankheit nachzuweisen ist. § 21 des Manteltarifvertrags der Deutschen Telekom AG vom 01.03.2004 enthält ebenfalls keine abschließende Regelung, die ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG ausschließt.

3. Der Betriebsrat kann die Beseitigung eines mitbestimmungswidrigen Zustandes verlangen (hier Anspruch des Betriebsrats, dass der Arbeitgeber den betroffenen Arbeitnehmern und Beamten mitteilt, dass die ihnen erteilten Attestauflagen unwirksam sind).

A.     Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

In dem Betrieb des Arbeitgebers sind neben Angestellten auch Beamte beschäftigt, denen nach § 4 Abs. 4 Satz 1 bis 3 PostPersRG eine Tätigkeit bei dem Arbeitgeber zugewiesen wurde. Der einschlägige Manteltarifvertrag berechtigt den Arbeitgeber, von seinen Mitarbeitern in begründeten Fällen die Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung bereits am ersten Tag der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit zu verlangen.

Der Arbeitgeber forderte im vierten Quartal 2010 und im ersten Quartal 2011 zahlreiche Arbeitnehmer dazu auf, bereits am ersten Tag der Arbeitsunfähigkeit die Bescheinigungen vorzulegen. Zudem forderte der Arbeitgeber seine Muttergesellschaft dazu auf, den bei ihm tätigen Beamten Attestauflagen zu erteilen. Daraufhin ordnete die Muttergesellschaft gegenüber den genannten Beamten gemäß § 96 BBG an, bereits am ersten Tag der Arbeitsunfähigkeit ärztliche Bescheinigungen vorzulegen. Der Arbeitgeber hatte den Betriebsrat zuvor nicht beteiligt.

Das Landesarbeitsgericht hat entschieden, dass der Arbeitgeber das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats aus § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG zu beachten hat, wenn er seine Mitarbeiter dazu auffordert, ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vorzulegen und kein Fall des § 5 Abs. 1 Satz 2 oder Satz 4 EFZG vorliegt. Im Fall der Missachtung dieses Mitbestimmungsrechts stehe dem Betriebsrat ein Unterlassungsanspruch gegen den Arbeitgeber zu. Dies gelte selbst dann, wenn die Gruppe der betroffenen Mitarbeiter sowohl aus Angestellten als auch aus Beamten bestehe. Gegen diese Entscheidung wurde die Rechtsbeschwerde zugelassen.

B.     Kontext der Entscheidung

Mitbestimmungsrechte gemäß § 87 Abs. 1 BetrVG bestehen nur, soweit keine gesetzliche oder tarifliche Regelung besteht. Denn wird der Mitbestimmungsgegenstand durch eine solche Regelung inhaltlich abschließend geregelt, verbleibt den Betriebsparteien kein Ausgestaltungsspielraum mehr. Verbleibt dem Arbeitgeber hingegen trotz einer solchen Regelung ein Spielraum für eigene Gestaltungen, ist das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats insoweit nicht ausgeschlossen. Die Vorschrift des § 5 Abs. 1 Satz 3 EFZG räumt dem Arbeitgeber das Recht ein, die Attestvorlage auch früher zu verlangen als in Satz 2 vorgesehen. Damit wird dem Arbeitgeber ein Gestaltungsspielraum eröffnet,, in dem er das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats zu beachten hat.

Nach der ständigen Rechtsprechung des BAG hat der Betriebsrat nur mitzubestimmen bei Maßnahmen, die das sog. Ordnungsverhalten der Arbeitnehmer im Betrieb betreffen (BAG, Beschl. v. 27.01.2004 – 1 ABR 7/03 Rn. 20). Daher unterliegen Weisungen des Arbeitgebers, mit denen die Arbeitspflicht unmittelbar konkretisiert wird, nicht der Mitbestimmung. Vor diesem Hintergrund hat das Landesarbeitsgericht entschieden, dass die streitgegenständlichen Attestauflagen keine unmittelbare Konkretisierung des Arbeitsverhaltens darstellen und dem mitbestimmungspflichtigen Ordnungsverhalten zuzurechnen sind.

C.     Auswirkungen für die Praxis

Mit dieser Entscheidung stellt das LArbG Berlin-​Brandenburg klar, dass ein Arbeitgeber, der schon vor Ablauf der dreitägigen Arbeitsunfähigkeit ein Attest von seinen Mitarbeitern verlangt, sich nicht erfolgreich darauf berufen kann, es handele sich bei dieser Anordnung lediglich um eine das Arbeitsverhalten betreffende Maßnahme. Auch das Argument, gesetzliche oder tarifvertragliche Regelungen würden das betriebsverfassungsrechtliche Mitbestimmungsrecht ausschließen, kann dann nicht erfolgreich vorgetragen werden, wenn dem Arbeitgeber ein gewisser Gestaltungsspielraum verbleibt.

In der Praxis sollten die Betriebsparteien vor diesem Hintergrund im Einzelfall genau prüfen, ob eine die Arbeitnehmer betreffende Maßnahme des Arbeitgebers aufgrund einer zwingenden gesetzlichen oder tarifvertraglichen Pflicht zur Vornahme dieser Maßnahme besteht, oder ob dem Arbeitgeber Raum zur eigenen Ausgestaltung verbleibt. Dies setzt voraus, dass sich die Betriebsparteien Klarheit über die die Maßnahme betreffenden gesetzlichen oder tarifvertraglichen Bestimmungen und insbesondere deren Reichweite verschaffen. Erlässt der Arbeitgeber eine mitbestimmungspflichtige Maßnahme, ohne das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats zu beachten, riskiert er, dass der Betriebsrat von seinem Unterlassungsanspruch Gebrauch macht. Empfehlenswert in derartigen Fragen betriebsverfassungsrechtlicher Mitbestimmung ist es für Arbeitgeber und Betriebsräte gleichermaßen, möglichst frühzeitig den Dialog zu suchen, um auf diesem Weg einen Konsens zu erreichen und zeit- und kostenintensiven Eskalationen entgegenzuwirken.

D.     Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung

Das mitbestimmungspflichtige Ordnungsverhalten ist nach dieser Entscheidung des Landesarbeitsgerichts auch dann betroffen, wenn der Arbeitgeber nicht selbst zur Attestvorlage auffordert, sondern die Dienstherrin der in seinem Betrieb tätigen Beamten dazu auffordert, entsprechende Attestauflagen zu erteilen.

Zustimmung zu einer Versetzung trotz fehlender Gefährdungsbeurteilung

Materiell-rechtlich geht es um die Frage, welche Voraussetzungen an eine Zustimmungsverweigerung nach § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG gestellt sind. Ferner werden die Fragen behandelt, ob die Versetzung von § 3 Abs. 3 ArbStättV erfasst ist und ob der Zweck von § 3 Abs. 3 ArbStättV nur dadurch erreicht werden kann, dass die personelle Einzelmaßnahme in Gänze unterbleibt. Die Entscheidung befasst sich auch mit der Frage, ob das Fehlen einer Gefährdungsbeurteilung vor einer personellen Einzelmaßnahme den Betriebsrat dazu berechtigt, die Zustimmung zu der personellen Einzelmaßnahme zu verweigern.


Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Christoph J. Burgmer kommentiert einen Beschluss des LArbG München vom 06.12.2011, 6 TaBV 67/11, in juris PraxisReport – ArbR 42/2012

Leitsatz:

Erfolglose Beschwerde gegen die Zustimmungsersetzung zur Versetzung eines Vorgesetzten. Der Betriebsrat hatte die Zustimmung wegen möglicher Nachteile anderer Arbeitnehmer und wegen der Überforderung des durch die Versetzung betroffenen Arbeitnehmers verweigert; zudem hatte er die nicht erfolgte Gefährdungsbeurteilung am neuen Arbeitsplatz als Zustimmungsverweigerungsgrund angesehen.

A. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Die Arbeitgeberin und der Betriebsrat führten ein Zustimmungsersetzungsverfahren über die Versetzung eines Mitarbeiters auf die Stelle Leiter „Program Management“. Bei der Stelle Leiter „Program Management“ handelt es sich um die fachliche und disziplinarische Leitung des gleichnamigen Fachbereichs. Der zu versetzende Mitarbeiter erfüllte die rein fachlichen Voraussetzungen.

Der Betriebsrat verweigerte, auch nach mehrmaliger Vorsprache der Arbeitgeberin, wiederholt die Zustimmung zu der Versetzung des Mitarbeiters, zuletzt am 10.01.2011, davor u.a. am 23.12.2010. Der Zustimmungsersetzungsantrag wurde am 13.11.2011 gestellt. Am 22.12.2010 hatte der Betriebsrat mit der Arbeitgeberin eine Betriebsvereinbarung über Arbeits- und Gesundheitsschutz abgeschlossen. In dieser war das Verfahren der Gefährdungsbeurteilung geregelt.

In den Zustimmungsverweigerungsschreiben (auch in dem vom 23.12.2010) wurde nicht auf den Verstoß gegen die Betriebsvereinbarung über Arbeits- und Gesundheitsschutz abgestellt, sondern hinsichtlich § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG nur auf § 3 Abs. 3 ArbStättV.

Der Betriebsrat vertritt die Ansicht, dass der zu versetzende Arbeitnehmer nicht zu Führungsaufgaben befähigt sei. So hätten einige Arbeitnehmer in seiner vorherigen Abteilung Aufhebungsverträge mit der Arbeitgeberin geschlossen, da innerhalb der Abteilung eine Mobbingsituation bestanden habe und auf die Belastungssituation der Mitarbeiter durch den Abteilungsleiter nicht eingegangen worden sei. Im Frühjahr 2011 war ein Mitarbeiter in ein Team der vorherigen Abteilung des zu versetzenden Arbeitnehmers gewechselt und sah sich dort immenser Schikanen durch den Teamleiter ausgesetzt. Der zu versetzende Abteilungsleiter zählte nicht dazu. Der schikanierte Mitarbeiter erlitt psychosomatische Erkrankungen, welche nach der Diagnose des behandelnden Arztes nur auf eine Mobbingsituation zurückzuführen seien. Durch die Versetzung sei der zu versetzende Abteilungsleiter selbst auch benachteiligt, da er aufgrund der fehlenden sozialen Qualifikation keine Führungsaufgaben tragen könne.

Sowohl das Arbeitsgericht als auch das Landesarbeitsgericht entsprachen dem Zustimmungsersetzungsantrag der Arbeitgeberin. Hinsichtlich des Zustimmungsverweigerungsgrunds des § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG i.V.m. § 3 Abs. 3 ArbStättV sei vorliegend eine Verweigerung der Zustimmung nicht möglich. Die Versetzung sei an sich nicht schon von § 3 Abs. 3 ArbStättV erfasst. Diese Regelung sehe lediglich die Erstellung einer Gefährdungsbeurteilung durch den Arbeitgeber und deren Dokumentation vor Aufnahme der Tätigkeiten vor. Auch könne der Zweck der Norm (§ 3 Abs. 3 ArbStättV) nicht nur dadurch erreicht werden, dass die Maßnahme insgesamt unterbliebe. Zum einen könnte der Arbeitnehmer individualrechtlich nach § 5 Abs. 1 ArbSchG i.V.m. § 618 Abs. 1 BGB die Erstellung einer Gefährdungsbeurteilung verlangen (BAG, Urt. v. 12.08.2008 – 9 AZR 1117/06 Rn. 27). Zudem hätte der Betriebsrat die Einhaltung der Betriebsvereinbarung Arbeits- und Gesundheitsschutz vom 22.12.2010 geltend machen können, welche gerade das Verfahren der Gefährdungsbeurteilungen regelt.

B. Kontext der Entscheidung

Nach dem LArbG München kann die Zustimmungsverweigerung – zumindest im vorliegenden Falle – bei fehlender vorangegangener Gefährdungsbeurteilung nicht auf § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG i.V.m. § 3 Abs. 3 ArbStättV gestützt werden. Insbesondere aufgrund der einen Tag vor der maßgeblichen Zustimmungsverweigerung am 23.12.2010 abgeschlossenen Betriebsvereinbarung hätte der Betriebsrat die Zustimmung nach § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG verweigern können. Ein zulässiges rechtliches Bedürfnis, die Zustimmung über § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG i.V.m. § 3 Abs. 3 ArbStättV zu verweigern, bestand nicht.

Fraglich ist nur, ob diese Argumentation auch durchgehalten werden kann, wenn der Sachverhalt anders wäre, z.B. wenn eine Betriebsvereinbarung wie die Betriebsvereinbarung Arbeitsund Gesundheitsschutz nicht vorläge.

C. Auswirkungen für die Praxis

Gefährdungsbeurteilungen sind ein wichtiges Instrument. Vergleichbar einem „Stress-Test“ können sie mögliche potentielle Gefahren und Probleme bereits im Vorfeld aufzeigen. Hierdurch können für den Mitarbeiter, seine Kollegen und auch für den Betrieb selbst Belastungen vermieden werden. Gerade die Besetzung von Führungspositionen bietet sich hierfür an, da eine Fehlbesetzung auf dieser Ebene schwerwiegende Auswirkungen haben kann.

Das BAG hat der Nichtzulassungsbeschwerde des Betriebsrats entsprochen. Das Verfahren ist unter dem Aktenzeichen 7 ABR 48/12 vor dem BAG anhängig. Die abschließende Beurteilung dieser Rechtsfragen obliegt folglich dem BAG.

Aus diesem Grunde erscheint es nicht unwahrscheinlich, dass das BAG zumindest im Rahmen eines obiter dictum die Ansicht vertreten wird, dass im Falle des Fehlens einer Betriebsvereinbarung wie der Betriebsvereinbarung Arbeits- und Gesundheitsschutz oder einer Regelung vergleichbaren Inhalts die Verweigerung der Zustimmung möglich wäre.

D. Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung

Das LArbG München stellt im Weiteren fest, dass die Zustimmungsverweigerung nicht auf Gründe gestützt werden kann, die mehr als eine Woche nach der Unterrichtung des Betriebsrats eingetreten sind. Ebenso ist das Nachschieben von Zustimmungsverweigerungsgründen nach Ablauf der Wochenfrist unzulässig.

Ferner erläutert das LArbG München auch, dass eine Zustimmungsverweigerung auch eines entsprechenden Tatsachenvortrag bedürfe. Formelhafte und nicht dem Einzelfall angepasste Begründungen reichen nicht aus. Einzig die Bezugnahme auf Konfliktfälle und -situationen, welche aus Sicht des Betriebsrats Zweifel an der Führungskompetenz entstehen ließen, genügen nicht. Vielmehr bedarf es des konkreten Vortrages, hinsichtlich welcher Art die jeweiligen Konfliktfälle waren und woraus sich diese ergeben hatten, um so die Wertung des Betriebsrats nachvollziehbar zu machen. Folglich hätte in diesem Zusammenhang auch noch das Versagen des zu Versetzenden sowie sein Verursachungsanteil an der späteren Eskalation aufgezeigt werden müssen.

Die Zustimmungsverweigerung nach § 99 Abs. 2 Nr. 4 BetrVG ist nach Auffassung des LArbG München dann nicht möglich, wenn der Arbeitnehmer die Maßnahme selbst wünscht. Bei Übereinstimmung der Interessen des Arbeitgebers und des betroffenen Arbeitnehmers läuft der Schutzzweck des § 99 Abs. 2 Nr. 4 BetrVG leer, da der betroffene Arbeitnehmer nicht gegen seinen Willen geschützt zu werden braucht. Ein solcher Fall liegt dann vor, wenn der Arbeitnehmer sich frei für die streitige personelle Maßnahme entschieden hat, weil sie seinen Vorstellungen und Bedürfnissen entspricht (BAG, Beschl. v. 02.04.1996 – 1 ABR 39/95 Rn. 19).

Dem Argument der Dringlichkeit der vorläufigen Versetzung und somit der vorläufigen Durchführung der personellen Einzelmaßnahme kann der Betriebsrat nicht entgegenhalten, dass die Arbeitgeberin die Eilbedürftigkeit selbst verursacht habe, wenn zuvor mehrfach versucht worden ist, den Betriebsrat durch sachliche Argumente umzustimmen.

Urlaubserteilung muss nicht ausdrücklich „unwiderruflich“ erfolgen

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Christoph J. Burgmer berichtet über ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts. BAG, Urteil vom 14.03.2006 – 9 AZR 11/05.

Stellt ein Arbeitgeber den Arbeitnehmer im Kündigungsschreiben unter Anrechnung seines Urlaubs von der Arbeitsleistung frei, muss er dies nicht ausdrücklich „unwiderruflich“ tun. Ohne ausdrücklichen Vorbehalt ist einmal erteilter Urlaub immer unwiderruflich.

Unwiderruflichkeit der Urlaubserteilung

Beauftragung eines Sachverständigen ist letzte Erkenntnismöglichkeit

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Christoph J. Burgmer berichtet über ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts. BAG, Uteil vom 16.11.2005 – 7 ABR 12/05.

Die Hinzuziehung eines Sachverständigen zur Prüfung einer Rechtsfrage ist erst dann möglich, wenn die innerbetrieblichen Erkenntnisquellen ausgeschöpft wurden und trotzdem nicht alle Fragen zu klären waren. Insbesondere muss der Betriebsrat versuchen, die durch Fachliteratur und Schulungen erworbenen Kenntnisse zu nutzen.

Beauftragung eines Sachverständigen