Presseveröffentlichung: Zählt das Umziehen zur Arbeitszeit, wenn der Arbeitgeber die Arbeitskleidung stellt?
Herr Rechtsanwalt Jens Niehl, Fachanwalt für Arbeitsrecht, hat einen Artikel für die Westdeutsche Allgemeine Zeitung (WAZ) verfasst.
Herr Rechtsanwalt Jens Niehl, Fachanwalt für Arbeitsrecht, hat einen Artikel für die Westdeutsche Allgemeine Zeitung (WAZ) verfasst.
Die Klägerin arbeitete als Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerin auf der Kinderintensivstation im Krankenhaus der Beklagten. Sie wurde vor Aufnahme ihrer Tätigkeit in dreifacher Hinsicht über ihre Schweigepflicht, u.a. aus § 5 BDSG, belehrt. Auf der Kinderintensivstation wurde auch der am 03.02.2013 geborene und am 09.05.2013 verstorbene G. betreut. Die Klägerin nahm sich seiner besonders an und veröffentlichte Fotografien von sich und ihm auf ihrer Facebook-Seite. Die Arbeitgeberin nahm dies zum Anlass, das Arbeitsverhältnis nach Anhörung der Klägerin außerordentlich, hilfsweise ordentlich, zu kündigen und unterlag in zwei Instanzen, zuletzt vor dem LArbG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 11.04.2014, 17 Sa 2200/13.
Die Bilder zeigten die Klägerin mit G. gemeinsam oder nur G. allein. Sie waren mit Kommentaren versehen, wie beispielsweise: „So ist Arbeit doch schön“. Nachdem der G. verstorben war, veröffentlichte sie weiter und kommentierte: „Rip kleines Engelchen, flieg schön mit deiner Schwester durch die Wolken und sei ein Schutzengel für die ganzen anderen Pupsis“. Die Zwillingsschwester des G. war nach der Geburt verstorben. Die Mutter des G. hatte sich von ihm losgesagt, der Vater war im Krankenheus nie in Erscheinung getreten. Wer die Fotos auf Facebook sehen konnte, war zwischen den Parteien streitig. Die Klägerin trug vor, sie habe den Zugriff auf die Bilder auf ihre Familienangehörigen und Arbeitskollegen beschränkt. Andere Facebook-Freunde, ca. 170, hätten die Fotos nicht einsehen können. Die Fotos wurden am 28.05.2013 durch die Klägerin von ihrer Facebook-Seite entfernt.
Die Anhörung durch die Arbeitgeberin fand am 29.05.2013 statt. Die Klägerin äußerte hierbei, dass es ihre Privatsache sei, was sie auf Facebook poste. „Die Eltern des G. kümmerten sich einen Scheiß“, so die Klägerin. Deren Einverständnis zur Veröffentlichung sei deswegen nicht erforderlich gewesen. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis am 03.06.2013 außerordentlich und einige Tage später fristgemäß. Sowohl das Arbeitsgericht als auch das LArbG hielten die Kündigung für unwirksam. Insbesondere habe kein wichtiger Grund nach § 626 Abs. 1 BGB vorgelegen. Gleichwohl habe die Klägerin als medizinische Mitarbeiterin der Beklagten gegen ihre Schweigepflicht und ihren Arbeitsvertrag verstoßen. Auch komme die Verwirklichung der Vorschrift des § 203 StGB, Verletzung von Privatgeheimnissen, in Betracht. Die Klägerin habe zwar nach eigener Einlassung den Zugriff auf die Fotos reglementiert, sie habe es aber nicht in der Hand gehabt, ob nicht vielleicht solche Personen die Zugriff hatten, die Fotos ihrerseits weiter veröffentlichen würden. Unter diesem Gesichtspunkt habe theoretisch keine Möglichkeit bestanden, einer weiteren Verbreitung der Bilder entgegenzuwirken. Hierdurch habe sie die Voraussetzungen für eine besonders schwerwiegende Verletzung der Persönlichkeitsrechte des G. geschaffen. Dieser Umstand allein, sei schon geeignet gewesen, eine Kündigung zu rechtfertigen, so das erkennende Gericht.
Das Gericht verneinte im konkreten Fall jedoch einen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des G. weil dieser auf den Fotos aufgrund der bislang noch wenig ausgeprägten Gesichtszüge nicht individualisieren gewesen sei. Die Bilder zeigten lediglich ein Kind in sehr jungem Alter, das nicht verächtlich gemacht worden sei. Die Kommentare der Klägerin seien vielmehr geeignet gewesen, den unbefangenen Betrachter für den kleinen G. einzunehmen, bzw. Mitleid für ihn zu wecken. Die Motive der Klägerin seien erkennbar nicht unlauter gewesen, so das Gericht, das die Wahrscheinlichkeit der Weiterveröffentlichung der Fotos mit G. durch die Facebook-Freunde der Klägerin auch eher gering einschätzte. Nach alledem sei der Beklagten zuzumuten, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen. Wegen der Veröffentlichung der Bilder auf Facebook sei der Klägerin im vorliegenden Fall lediglich eine Abmahnung zu erteilen, denn aufgrund der emotionalen Bindung der Klägerin zum kleinen G. sei nicht davon auszugehen, dass sich derartige Vorfälle wiederholten. Eine außerordentliche Kündigung sei in jedem Fall unverhältnismäßig.
Der Mitarbeiter eines Großhandelsmarkts stand im Verdacht, Damenunterwäsche entwendet zu haben. Sein Vorgesetzter öffnete im Beisein des Betriebsrats den Spind des Mitarbeiters und wurde, nach eigener Einlassung, in einer Jackentasche des Mitarbeiters fündig. Eine erneute Kontrolle am selben Tag kam zu spät, der Spind war leer, die Unterwäsche weg. Der Mitarbeiter wusste nichts von der Durchsuchung und wollte zu dem Vorfall auch keine Stellung beziehen. Das Arbeitsverhältnis wurde schließlich fristlos und hilfsweise ordentlich gekündigt. Der Mitarbeiter klagte gegen die Kündigung und obsiegte, zuletzt vor dem BAG, Urteil vom 20.06.2013, 2 AZR 546/12.
Der Mitarbeiter, der in der Getränkeabteilung beschäftigt war, stand schon lange in dem Verdacht, immer wieder Dinge unbezahlt mitgenommen zu haben. So wurden nach dem Vortrag des beklagten Arbeitgebers, Etiketten von vorverpackten Rosinenschnecken in den Papierkörben der Getränkeabteilung gefunden. Der Mitarbeiter habe sie vermutlich weggenommen und verzehrt. Am Tag der Durchsuchung des Spinds wurden Etiketten von Damenunterwäsche im Müll gefunden. Ein Abgleich bei der Buchhaltung ergab, dass die Waren nicht bezahlt worden waren. Chef und Betriebsrat verabredeten, eine Taschenkontrolle bei dem Mitarbeiter vor Verlassen des Arbeitsplatzes durchzuführen. Doch dazu kam es nicht, der Mitarbeiter sei am Tag der Spinddurchsuchung vor Dienstschluss gegangen. Man habe ihn auf dem Parkplatz zur Rede stellen wollen, doch er sei einfach in sein Auto gestiegen und davongefahren.
Das Arbeits- und das Landesarbeitsgericht gaben der Kündigungsschutzklage des Mitarbeiters statt. Die Revision des Arbeitgebers zum Bundesarbeitsgericht blieb ohne Erfolg. Das BAG schloss sich den Ausführungen der Vorinstanz zum Nichtvorliegen eines wichtigen Grundes an. Die Pflichtverletzung des Mitarbeiters sei vom Arbeitgeber nicht hinreichend nachgewiesen worden. Die Verwertung von Beweismitteln, die heimlich und ohne Kenntnis des Mitarbeiters gewonnen worden seien, sei ausgeschlossen. Eine prozessuale Verwertung der Beweismittel scheide aus, denn die Beweiserhebung sei schon ein nicht zu rechtfertigender Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Mitarbeiters gewesen. Auch sei der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht gewahrt worden. So hätte als milderes Mittel durchaus eine Taschenkontrolle zur Verfügung gestanden. Wäre sie erfolgreich verlaufen, so hätte man erst danach zur Kontrolle des Spinds, als schwerwiegendster Maßnahme, übergehen dürfen. Die Erlaubnis des Betriebsrats zur Durchsuchung des Spinds, könne die unverhältnismäßige Maßnahme nicht rechtfertigen.
Die Klägerin weigerte sich, trotz entsprechender Weisung des Arbeitgebers, eine elektronische Signaturkarte zu beantragen, die sie in die Lage versetzen sollte, auf Behördenseite am elektronischen Vergabeverfahren aller Bundesbehörden und speziell ihrer eigenen, teilzunehmen. Sie unterlag in allen Instanzen, zuletzt vor dem BAG, Urteil vom 25.09.2013, 10 AZR 270/12.
Elektronische Signaturen sind Daten in elektronischer Form, die anderen elektronischen Daten beigefügt oder mit ihnen verknüpft sind und die der Authentifizierung dienen. Dokumente mit einer qualifizierten elektronischen Signatur gemäß § 2 Nr. 3 SigG können eine per Gesetz geforderte Schriftform auf Papier ersetzen. Daneben erfüllt die elektronische Signatur technisch gesehen den gleichen Zweck wie eine eigenhändige Unterschrift auf Papierdokumenten.
Die Klägerin ließ sich ohne näheren Tatsachenvortrag dahingehend ein, dass sie keine elektronische Signatur beantragen wolle, weil sie fürchtete, es könne Missbrauch mit ihren Daten betrieben werden. Art und Umfang des vermeintlichen Missbrauchs wurden jedoch nicht näher ausgeführt, so dass das BAG wegen des unsubstantiierten Vortrags der Klägerin davon ausging, dass keine Anhaltspunkte für einen möglicherweise drohenden Missbrauch bestünden. Dies umso weniger, da die Daten einzig dem Zertifizierungsanbieter zur Verfügung gestellt würden, der sie nur nutzen dürfe, soweit dies für die Zwecke einer elektronischen Signaturkarte erforderlich sei, § 14 SigG. Die Abwägung zwischen sachlich begründetem, dienstlichem Zweck der Teilnahme am elektronischen Signaturverfahren und dem Persönlichkeitsrecht der Arbeitnehmerin falle vorliegend zugunsten des Arbeitgebers aus. Dieser bestimme gemäß § 106 Satz 1 GewO Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen und habe die Weisung zur Teilnahme am Signaturverfahren erteilen dürfen, da die Veröffentlichung der Ausschreibungsunterlagen unter Einsatz einer elektronischen Signaturkarte zum vertraglich vereinbarten Aufgabenbereich der Klägerin gehöre.
Der Arbeitnehmer hatte eine Einverständniserklärung zur Verwendung von Ablichtungen seiner Person in einem Firmenvideo seines Arbeitgebers unterzeichnet. Er forderte acht Monate nachdem er den Betrieb verlassen hatte, Schmerzensgeld für die Weiterverwendung und klagte zusätzlich auf Unterlassung einer weiteren Veröffentlichung des Werbefilms auf der Firmenwebsite. Das Arbeitsgericht gab seiner Klage statt, das LArbG Mainz hingegen gab dem Arbeitgeber im Berufungsverfahren Recht, Urteil vom 08.05.2013, 8 Sa 30/13, und erlaubte die weitere Verwendung des Firmenvideos.
Der Kläger behauptete, die Einwilligung in die Verwendung der Aufnahmen für das Firmenvideo nach dem Ausscheiden wirksam widerrufen zu haben. Der beklagte Arbeitgeber bestritt dies. Es könne nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass das Einverständnis automatisch mit dem Ausscheiden erlösche. Auch sei eine Befristung sui generis für die Dauer der Beschäftigung im Betrieb erkennbar nicht gewollt und deshalb auch nicht vereinbart worden. Das LArbG folgte seiner Auffassung und machte weitere Ausführungen. Der Widerruf der Einwilligung nach § 22 KUG (Kunsturhebergesetz) setze alternativ, neben weiteren Gesichtspunkten, eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts voraus. Diese sei dann anzunehmen, wenn die Aufnahmen nicht nur Illustrations- und Dekorationszwecken dienten, sondern einen Bezug auf die individuelle Persönlichkeit des Klägers enthielten. Der Bezug sei gegeben, wenn der Arbeitgeber die Aufnahmen dazu verwende, bewusst mit der individuellen Persönlichkeit des Arbeitnehmers zu werben, beispielsweise mit seiner besonderen Fachkompetenz. Er fehle, wenn das Mitarbeiterbild mit jedem anderen, auch unternehmensfremden, austauschbar sei.
Der Kläger begründete die behauptete Verletzung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts u.a. damit, dass er im Firmenvideo als Teil der Belegschaft dargestellt werde, obwohl das nicht mehr stimme. Dies könne zu Spannungen mit seinem neuen Arbeitgeber führen, da er ja insoweit Werbung für ein Konkurrenzunternehmen betreibe. Tatsächlich war er nur zweimal kurz im Video zu sehen. Einmal am Anfang als Fahrer eines Firmenfahrzeugs, wobei zwischen den Parteien streitig war, ob es sich um den Kläger handelte, und ein weiteres Mal am Ende für ca. zwei Sekunden auf einem Gruppenbild mit dreißig weiteren Mitarbeitern. Das LArbG sah hierin keinen Bezug auf die individuelle Persönlichkeit des Klägers, auch werde nicht explizit mit seiner Person geworben. Vielmehr sei die Aufnahme, handelte es sich um ein einzelnes Bild, letztlich austauschbar, so dass es insgesamt an einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und an einem wirksamen Widerruf nach § 22 KUG der vormals unterzeichneten Einverständniserklärung fehle.
Das LArbG Mainz (Urteil vom 11.07.2013 Sa Ga 3/13) hatte einen Fall zu entscheiden, bei dem das Interesse eines Arbeitgebers, den Beweiswert der vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung entwerten zu können, mit dem des krankgeschriebenen Arbeitnehmers an der Wahrung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts abzuwägen war.
Ein Abteilungsleiter des beklagten Arbeitgebers traf den seit drei Wochen arbeitsunfähig krankgeschriebenen Arbeitnehmer an einem Samstag zufällig dabei an, wie er in einer öffentlichen Waschanlage sein Fahrzeug reinigte. Der Arbeitnehmer war offensichtlich von erstaunlich guter körperlicher Verfassung, weshalb der Abteilungsleiter hiervon Fotos anfertigte. Der „Ertappte“ bemerkte den Abteilungsleiter und es kam zu einem heftigen Gerangel. Im Nachgang folgte die fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses, wogegen sich der Arbeitnehmer mit einer Kündigungsschutzklage zur Wehr setzte. Er stellte gleichzeitig den Antrag, dem Abteilungsleiter für die Zukunft zu untersagen, ihn ohne seine Einwilligung erneut zu fotografieren, oder ihm nachzustellen.
Es ist zwar mittlerweile schon gefestigte Rechtsprechung, dass der arbeitsunfähig krankgeschriebene Arbeitnehmer nicht in völliger Abschottung von der Außenwelt auf seine Genesung warten muss. Gleichwohl hat er aber Handlungen in der Öffentlichkeit zu unterlassen, die den Arbeitgeber an seiner Arbeitsunfähigkeit zweifeln lassen, sogar provozieren, oder gar den Heilungsverlauf unnötig hinauszögern. Das LArbG Mainz entschied, wie zuvor die erste Instanz, zu Gunsten des Arbeitgebers. Sein Interesse an der Entkräftung des Beweiswertes der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung habe einen so hohen Stellenwert ein, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers, welches dieser durch die Verwertung der Aufnahmen verletzt sah, dahinter zurücktreten müsse. Folglich war auch die vom Arbeitnehmer angestrengte einstweilige Verfügung nicht von Erfolg gekrönt, da kein rechtswidriges Verhalten des Arbeitgebers erkennbar war.
Stellt ein Arbeitnehmer einer Kollegin unter bewusster Missachtung ihres entgegenstehenden Willens beharrlich nach, ist dies an sich als wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung i.S.v. § 626 Abs. 1 BGB geeignet. Einer Abmahnung bedarf es dann nicht, wenn eine Verhaltensänderung in Zukunft selbst nach Abmahnung nicht zu erwarten steht oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass eine Hinnahme durch den Arbeitgeber offensichtlich – auch für den Arbeitnehmer erkennbar – ausgeschlossen ist.
Dies stellte das BAG in seinem Urteil vom 19.04.2012 (Az. 2 AZR 258/11) klar. Dabei komme es nicht entscheidend auf die strafrechtliche Würdigung des Verhaltens an (vgl. § 238 StGB), sondern auf die mit diesem Verhalten verbundene Störung des Betriebsfriedens. In einem derartigen Verhalten liege nicht nur eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts der Betroffenen, sondern zugleich eine erhebliche Verletzung der Pflicht zur Rücksichtnahme auf die berechtigten Interessen des Arbeitgebers gemäß § 241 Abs. 2 BGB. Dieser habe die Integritätsinteressen seiner Mitarbeiter zu schützen. Damit sei Stalking „an sich“, d.h. typischer Weise als Kündigungsgrund i.S.v. § 626 Abs. 1 BGB geeignet.
Eine Abmahnung könne in Ansehung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes dann entbehrlich sein, wenn eine Verhaltensänderung in Zukunft selbst nach Abmahnung nicht zu erwarten sei. Handele es sich um eine so schwere Pflichtverletzung, dass eine Hinnahme durch den Arbeitgeber offensichtlich – auch für den Arbeitnehmer erkennbar – ausgeschlossen sei, könne auch dieser Umstand eine Abmahnung entbehrlich werden lassen. Dies gilt nach dem BAG grundsätzlich auch bei Störungen im Vertrauensbereich.
Das Landesarbeitsgericht hatte sich mit einem Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG zu befassen. Es stand im Streit, ob die Aufforderung zur Teilnahme an einem Deutschkurs als Belästigung gemäß § 3 Abs. 3 AGG zu qualifizieren ist.
Leitsatz
Die an einen Arbeitnehmer, der nicht deutscher “Muttersprachler” ist, gerichtete Aufforderung, einen Deutschkurs zu besuchen, stellt keine Belästigung i.S.v. § 3 Abs. 3 AGG dar.
A. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Klägerin ist 1951 im ehemaligen Jugoslawien geboren. Ihre Muttersprache ist Kroatisch. Sie arbeitet mit einer einjährigen Unterbrechung seit 1985 als Reinigungskraft und Vertretung der Kassenkräfte im Schwimmbad der Beklagten. Die Beklagte hat die Klägerin mehrfach schriftlich zur Teilnahme an einem Deutschkurs aufgefordert. Sie behauptet, wegen der unzureichenden Deutschkenntnisse komme es immer wieder zu Problemen in der Verständigung mit Kollegen, Vorgesetzten und Kunden. Die Klägerin hat dies bestritten und sah darin eine gezielte und nachhaltige Diskriminierung auf Grund ihrer Nationalität, ihrer Rasse und ethnischen Zugehörigkeit. Die Klägerin hat erstinstanzlich beantragt, die Beklagte zu verurteilen einen angemessenen, in das Ermessen des Gerichts gestellten Entschädigungsbetrag, mindestens aber 15.000 € zu zahlen. Das Arbeitsgericht und das Landesarbeitsgericht haben den Antrag als unbegründet zurückgewiesen. Nach Ansicht des Landesarbeitsgerichts steht der Klägerin ein Entschädigungsanspruch aus § 15 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 7 AGG nicht zu, weil die Beklagte nicht gegen das Benachteiligungsverbot gem. § 7 i.V.m. § 1 AGG verstoßen habe. Die darlegungs- und beweispflichtige Klägerin habe den Tatbestand einer Benachteiligung in Form der Belästigung nicht hinreichend dargelegt. Auch wenn die Klägerin wiederholt deutlich gemacht habe, sie fühle sich durch die Aufforderungen belästigt, hängen die Verhaltensweisen der Beklagten nicht mit einem von § 1 AGG geschützten Merkmal zusammen. Das unerwünschte Verhalten erfolgte nicht „aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft“ i.S.v. § 1 AGG. Für die Beklagte spielte die konkrete Herkunft der Klägerin aus dem ehemaligen Jugoslawien und ihre Muttersprache Kroatisch keine Rolle. Die Beklagte habe die Klägerin zum Besuch des Sprachkurses aufgefordert, weil sie deren Deutschkenntnisse für nicht ausreichend hielt bzw. hält. Angeknüpft werde mit den von der Klägerin unerwünschten Aufforderungen also an ihre Sprachkompetenz und nicht an ihre Ethnie. Selbst wenn ein Zusammenhang zwischen der Aufforderung, Deutschkurse zu besuchen, und dem von § 1 AGG geschützten Merkmal „Rasse“ oder „ethnische Herkunft“ bejaht werde, sei der Belästigungstatbestand nicht erfüllt, da die in § 3 Abs. 3 AGG angelegte Erheblichkeitsschwelle im vorliegenden Fall nicht überschritten werde. Wesentlich für eine Belästigung i.S.d. § 3 Abs. 3 AGG sei die durch die unerwünschten Verhaltensweisen bezweckte oder bewirkte Verletzung der Würde der Person sowie die Schaffung eines feindlichen Umfelds. § 3 Abs. 3 letzter Teilsatz AGG stelle ausdrücklich darauf ab, ob ein durch „Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld“ geschaffen werde. Die gesetzliche Formulierung zähle damit besonders schwerwiegende Beispiele für würdeverletzende Verhaltensweisen, die notwendig zur Würdeverletzung hinzutreten müssten, auf. Das ergebe sich aus der Verbindung zwischen den gesetzlichen Voraussetzungen. Sie konkretisierten damit den Maßstab für den bei einer Belästigung gemäß § 3 Abs. 3 AGG erforderlichen Schweregrad einer unerwünschten Belästigung, der bereits beträchtlich und deutlich oberhalb einer bloßen Lästigkeitsschwelle liegen müsse. Darüber hinaus müssten diese Belästigungen das Umfeld nach dem gesetzlichen Wortlaut „kennzeichnen“. Ein Umfeld „kennzeichnen“ könnten sie aber nur dann, wenn sie für das Arbeitsverhältnis prägende Bedeutung hätten (vgl. Schlachter in: ErfKomm, § 3 AGG Rn. 13, 15). Zwar müsse durch die unerwünschte Verhaltensweise die Menschenwürde i.S.d. Art. 1 GG nicht in Frage gestellt werden. Geringfügige Vorfälle mit bloßem Lästigkeitswert würden aber tatbestandlich nicht erfasst. Eine „prägende“ Bedeutung komme einzelnen Tathandlungen grundsätzlich nur dann zu, wenn sie aufeinander aufbauten und ineinandergriffen, also systematisch dazu dienten, die Würde des Betroffenen zu verletzen. Auch das BAG gehe in seiner Entscheidung vom 25.10.2007 (8 AZR 593/06) davon aus, dass ein Umfeld grundsätzlich nicht durch ein einmaliges, sondern nur durch ein fortdauerndes Verhalten geschaffen wird. Im vorliegenden Fall habe die Beklagte durchaus mit erheblicher Hartnäckigkeit versucht, die Klägerin zum Besuch eines Deutschkurses zu veranlassen. Ihr Vorgesetzter habe sie mehrfach dazu aufgefordert, auch unter Androhung arbeitsrechtlicher Konsequenzen für den Fall der Nichtbefolgung der Anweisung. Es sei auch nachvollziehbar, dass er damit der Klägerin lästig gefallen sei. Allerdings vermöge die Kammer nicht zu erkennen, dass die Aufforderung einen Deutschkurs zu besuchen, die Würde des Aufgeforderten angreife. Sicher läge darin eine Kritik an der vorhandenen Sprachkompetenz. Die Würde wegen der Zugehörigkeit zu einer nach § 1 AGG geschützten Gruppe werde dem Betroffenen damit nicht abgesprochen. Daran ändere auch der Umstand nichts, dass die Klägerin mehrfach deutlich gemacht habe, dass sie zum Besuch des Deutschkurses nicht weiter aufgefordert werden möchte. Die Unerwünschtheit der Verhaltensweise, die für die Beklagte objektiv erkennbar war, sei nicht gleichbedeutend mit einer würdeverletzenden Verhaltensweise. Damit liege das Verhalten der Beklagten, so unangenehm die Klägerin es empfunden haben mag, nicht oberhalb der bloßen Lästigkeitsschwelle.
B. Kontext der Entscheidung
Die vorliegende Entscheidung ist eine der wenigen, die zu dem Problemkreis der Belästigung i.S.d. § 3 Abs. 3 AGG veröffentlicht sind. Sie liegt auf einer Linie mit der Entscheidung des LArbG Düsseldorf (Urt. v. 18.06.2008 – 7 Sa 383/08). Auch dort hat das LArbG Düsseldorf erkannt, Belästigungen i.S.d. § 3 Abs 3 AGG könnten das Umfeld nur dann kennzeichnen, wenn sie für das Arbeitsverhältnis prägende Bedeutung entfalten. Einmalige Tathandlungen (hier: ausländerfeindliche Beschriftungen in zwei von fünf Herrentoiletten) seien selbst dann, wenn sie fortwirkten, für sich genommen nicht geeignet, die Annahme einer prägenden Bedeutung für das Arbeitsverhältnis zu rechtfertigen, soweit nicht weitere Umstände hinzukämen, aus denen geschlossen werden könne, dass die Würde des Arbeitnehmers systematisch verletzt werden soll. Damit wird durch beide Landesarbeitsgerichte eine Erheblichkeitsschwelle gefordert, um diejenigen Handlungen von einer Belästigung i.S.d. § 3 Abs. 3 AGG abzugrenzen, die zwar lästig fallen und unangenehm sein können, aber eine gewisse Geringfügigkeitsschwelle oder Lästigkeitsschwelle nicht überschreiten, um tatbestandsrelevant zu sein (vgl. Schlachter in: ErfKomm, § 3 AGG Rn. 16; Däubler/Bufalica, AGG § 3 Rn. 20).
C. Auswirkungen für die Praxis
Das Landesarbeitsgericht hat für die betriebliche Praxis klargestellt, dass nicht jede lästige oder unangenehme Aufforderung des Arbeitgebers, die mit Sprachkenntnissen und damit im weiteren Sinne mit Ethnie in Zusammenhang zu bringen ist, gleich Entschädigungsansprüche nach dem AGG auslöst. Der Arbeitgeber hat ein berechtigtes Interesse daran, dass Mitarbeiter ein bestimmtes Maß an Sprachkenntnissen haben, um ihren Arbeitsaufgaben gerecht zu werden. Dieses Interesse muss er formulieren und an den Arbeitnehmer adressieren dürfen, ohne sich gleich dem Vorwurf der Belästigung und Entschädigungsansprüchen auszusetzen. Es bleibt abzuwarten, wie das BAG über die gegen beide Urteile eingelegten Revisionen entscheiden wird.
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