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Abordnungsvertretung – Kein Raum für „gedankliche Zuordnung“

Urteil des BAG vom 16.01.2013 (7 AZR 662/11) zu der Frage, ob die Befristung zur Vertretung eines vorübergehend mit anderen Aufgaben betrauten Stammarbeitnehmers zulässig ist.

Abordnungsvertretung kann Sachgrund für eine Befristung sein

Bei einer „normalen“ Befristung nach § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 TzBfG steht der zu vertretene Stammarbeitnehmer dem Betrieb vorübergehend nicht zur Verfügung, beispielsweise wegen Krankheit oder ähnlichem. Bei der Abordnungsvertretung ist der Stammarbeitnehmer deshalb nicht auf seinem Stammarbeitsplatz, weil der Arbeitgeber ihn vorübergehend mit anderen (höherwertigen) Aufgaben beauftragt hat. Nachdem mehrere Landesarbeitsgerichte der Meinung waren, dass dies aufgrund der Manipulationsmöglichkeiten keinen Sachgrund für eine Vertretung darstellen könne, entschied nun das BAG, dass „ein sachlicher Grund für die Befristung eines Arbeitsvertrages auch dann vorliegen kann, wenn eine Stammkraft vorübergehend höherwertige Aufgaben wahrzunehmen hat und der Arbeitgeber deren eigentliche Tätigkeit dem Vertreter zuweist.“

Die „gedankliche Zuordnung“ ist bei der Abordnungsvertretung jedoch nicht möglich

Für den „Normalfall“ des Sachgrunds der Vertretung hat das BAG die Rechtsfigur der „gedanklichen Zuordnung“ geschaffen. Demnach muss die befristet eingestellte Vertretungskraft nicht unmittelbar auf demselben Arbeitsplatz wie die zu vertretene Stammkraft arbeiten. Außerdem muss der Vertreter auch nicht mittelbar auf dem Arbeitsplatz des Vertretenen arbeiten, dh. es muss keine sog. „Vertretungskette“ vorliegen, dass der Vertreter bspw. auf dem Arbeitsplatz einer Stammkraft arbeitet, die wiederum den Vertretenen vertritt. Für die „gedankliche Zuordnung“ ist es ausreichend, dass der befristet eingestellte Arbeitnehmer der abwesenden Stammkraft gedanklich zugeordnet werden kann. Dies setzt voraus, dass die Stammkraft auch auf der Position des befristet beschäftigten Arbeitnehmers eingesetzt werden könnte und sich die gedankliche Zuordnung aufgrund einer Dokumentation – z.B. im Arbeitsvertrag – hinreichend feststellen lässt. Für den Fall der Abordnungsvertretung ist dies jedoch nicht möglich. Das BAG führt dazu aus: „In diesem Fall hat der Arbeitgeber von seinen Versetzungs- und Umsetzungsbefugnissen bereits dadurch Gebrauch gemacht, dass er die von ihrem Arbeitsplatz vorübergehend abwesende Stammkraft anderweitig eingesetzt hat. Aufgrund derselben organisatorischen Entscheidung kann eine Kausalität zur befristeten Einstellung eines Arbeitnehmers daher nicht dadurch begründet werden, dass der Arbeitgeber die Stammkraft auch mit der Tätigkeit des befristet eingestellten Arbeitnehmers hätte betrauen können. Der Arbeitgeber kann von seinen Versetzungs- und Umsetzungsbefugnissen – bei identischem Anlass – nur einmal Gebrauch machen.“

Befristung zur Vertretung eines erkrankten Arbeitnehmers

Solange der vertretene Arbeitnehmer dem Arbeitgeber nicht vor Abschluss des befristeten Arbeitsvertrags mit der Vertretungskraft verbindlich erklärt, dass er die Arbeit nicht wieder aufnehmen werde, darf und muss der Arbeitgeber mit dessen Rückkehr an den Arbeitsplatz rechnen.

Sachgrund der Vertretung liegt grundsätzlich auch bei langer Erkrankung vor

Das LAG Rheinland-Pfalz entschied am 05.07.2012 (Az. 11 Sa 26/12), dass der Sachgrund der Vertretung gemäß § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 TzBfG auch in dem Fall vorliege, dass der Vertretene lange Zeit erkrankt sei. Die befristet beschäftigte Klägerin vertrat demgegenüber die Auffassung, dass dem Arbeitgeber im Hinblick auf die lange Erkrankung der Vertretenen hätte klar sein müssen, dass diese auch nach Ablauf der Befristung ihren Dienst nicht wieder aufnehmen werde. Das LAG entschied jedoch, dass in den Fällen der Vertretung der sachliche Grund für die Befristung darin bestehe, dass der Arbeitgeber seinen Arbeitskräftebedarf bereits durch den Arbeitsvertrag mit dem erkrankten Arbeitnehmer abgedeckt hat und deshalb an der Arbeitskraft des Vertreters von vornherein nur ein vorübergehender, zeitlich durch die Rückkehr des Vertretenen begrenzter Bedarf bestehe.

Prognose des Arbeitgebers ist Teil des Sachgrundes

Teil des Sachgrundes ist nach dem LAG daher eine Prognose des Arbeitgebers über den voraussichtlichen Wegfall des Vertretungsbedarfs durch die Rückkehr des zu vertretenden Mitarbeiters. Nur wenn der Arbeitgeber im Ausnahmefall aufgrund ihm vorliegender Informationen erhebliche Zweifel daran haben müsse, dass die zu vertretende Stammkraft überhaupt wieder an ihren Arbeitsplatz zurückkehren werde, könne dies dafür sprechen, dass der Sachgrund der Vertretung nur vorgeschoben sei. Dann könne die Befristung unwirksam sein. Dies setze jedoch voraus, dass der zu vertretende Arbeitnehmer dem Arbeitgeber bereits vor dem Abschluss des befristeten Arbeitsvertrags mit der Vertretungskraft verbindlich erklärt habe, dass er die Arbeit nicht wieder aufnehmen werde. Ansonsten darf und muss der Arbeitgeber mit dessen Rückkehr an den Arbeitsplatz rechnen.

Presseerklärung von Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Christoph J. Burgmer als Mitglied des Verbands deutscher Arbeitsrechtsanwälte e.V.

Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) vom 26.01.2012.

Zusammenfassung:

  • Verlängerung befristeter Arbeitsverträge kann auch dann durch einen Vertretungsbedarf gerechtfertigt sein, wenn sich dieser Bedarf als wiederkehrend oder sogar ständig erweist.
  • (Stuttgart) Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) hat am 26.01.2012 entschieden, dass die Verlängerung befristeter Arbeitsverträge auch dann durch einen Vertretungsbedarf gerechtfertigt sein kann, wenn sich dieser Bedarf als wiederkehrend oder sogar ständig erweist.
  • Der Einsatz dieser aufeinanderfolgenden befristeten Verträge kann jedoch gegebenenfalls unter Berücksichtigung ihrer Zahl und Gesamtdauer einer Missbrauchskontrolle unterzogen werden.

Presseerklärung