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Fehlende Tariffähigkeit der "medsonet" auch für die Vergangenheit

Ein Rechtsbeitrag von Rechtsanwalt und Fachanwalt Christoph J. Burgmer

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Christoph J. Burgmer kommentiert einen Beschluss des ArbG Hamburg 1. Kammer, vom 17.05.2011 - 1 BV 5/10, in juris PraxisReport - ArbR 44/2011

Das ArbG Hamburg hatte darüber zu entscheiden, welche Anforderungen an die Tariffähigkeit einer Arbeitnehmervereinigung zu stellen sind und ob die Tariffähigkeit auch für die Vergangenheit abgesprochen werden kann.

Orientierungssatz zur Anmerkung

Die im März 2008 gegründete Arbeitnehmervereinigung „medsonet“ ist keine tariffähige Gewerkschaft i.S.v. § 2 Abs. 1 TVG, da es ihr zum Zeitpunkt der Entscheidung aufgrund der geringen Mitgliederzahl an der erforderlichen Durchsetzungsfähigkeit gegenüber den Arbeitgebern fehlte. Dies gilt auch für die Vergangenheit, da sich die Vereinigung erst im September 2010 ein Tarifstatut gegeben hat.
A. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Vereinigung „medsonet“ wurde am 05.03.2008 gegründet und ist Mitglied des Christlichen Gewerkschaftsbundes Deutschland. Der Geltungsbereich der Gewerkschaft „medsonet“ umfasst bundesweit rund 2,2 Mio. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, während „medsonet“ nach eigenen Angaben rund 7.000 Mitglieder hat. Diese Mitgliederzahl wurde von ver.di. bestritten. „Medsonet“ schloss mehr als 100 Haustarifverträge mit Kliniken und anderen Einrichtungen der Gesundheitsbranche ab. Zwischen dem Bundesverband Deutscher Privatkliniken und „medsonet“ ist am 20.10.2008 ein Bundesmanteltarifvertrag für die Beschäftigten in Privatkliniken abgeschlossen worden. Auf seiner Sitzung am 10. und 11.09.2010 beschloss der Hauptvorstand der „medsonet“ erstmals ein Tarifstatut. Das Arbeitsgericht hat „medsonet“ auf Antrag der Vereinigte Dienstleistungsgesellschaft ver.di. sowohl in Bezug auf den bereits vergangenen Zeitpunkt des Abschlusses des Bundesmanteltarifvertrags für die Beschäftigten in Privatkliniken als auch für den gegenwärtigen Zeitpunkt die Tariffähigkeit abgesprochen. Für die Vergangenheit ergebe sich die fehlende Tariffähigkeit bereits daraus, dass „medsonet“ sich erst im September 2010 ein Tarifstatut gegeben hat. Das Fehlen jeglicher Regelungen über Verhandlung und Abschluss von Tarifverträgen stehe einer Anerkennung der Tariffähigkeit entgegen. Die Tatsache, dass tarifvertragliche Regelungen das Arbeitsverhältnis wie ein Gesetz regeln, rechtfertige dass Erfordernis einer besonderen Legitimation der Tarifnormen. Darüber hinaus sei „medsonet“ aber auch bereits deshalb nicht tariffähig, weil sie nicht die erforderliche Anzahl von Mitgliedern hat. Mit lediglich 7.000 Mitgliedern, die einer Gesamtzahl von 2,2 Mio. Beschäftigten in der entsprechenden Gesundheitsbranche gegenüberstehen, fehle es „medsonet“ an der erforderlichen Durchsetzungsfähigkeit und sozialen Mächtigkeit gegenüber der Arbeitgeberseite.
B. Kontext der Entscheidung
Das Urteil des ArbG Hamburg fügt sich nahtlos in die geltende Rechtsprechung zum Thema Tariffähigkeit ein. Bereits mit Beschluss vom 14.12.2010 (1 ABR 19/10) hatte das BAG aufgrund einer formalen Satzungsfrage entschieden, dass die Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personalserviceagenturen (CGZP) zu diesem Zeitpunkt nicht tariffähig war. Dementsprechend entwickeln die von der CGZP abgeschlossenen Tarifverträge keine normative Wirkung, was die rechtliche Basis für zahlreiche Equal-Pay-Klagen bildete. Inwieweit diese Festsetzungen auch für die Vergangenheit gelten sollten, ließ das BAG allerdings offen. Diese Lücke hat nunmehr u.a. das ArbG Berlin geschlossen (Beschl. v. 30.05.2011 – 29 BV 13947/10). Hier hatten 38 Kläger Klage eingereicht, für deren Entscheidung die Klärung der Rechtsfrage der Tariffähigkeit der CGZP eine entscheidende Rolle spielte. Daher waren die jeweiligen Verfahren ausgesetzt und ein Beschlussverfahren nach § 97 Abs. 5 ArbGG anhängig gemacht worden. Konkret ging es in diesem Beschlussverfahren um Abschlüsse von Tarifverträgen in den Jahren 2004, 2006 und 2008. Auch zu diesen Zeitpunkten sei die CGZP nicht tariffähig gewesen, entschied das ArbG Berlin. Die Begründung entspricht derjenigen des BAG. Da sich die Mitglieder der CGZP nicht im Rahmen ihrer Tariffähigkeit zusammengeschlossen hätten, sei die CGZP nicht als Spitzenorganisation zu qualifizieren und könne dementsprechend auch nicht wirksam Tarifverträge abschließen. Auch das ArbG Herford hatte entschieden, dass die Feststellung der Tariffähigkeit auch für die Vergangenheit gelten kann (ArbG Herford, Urt. v. 04.05.2011 – 2 Ca 144/11). Das ArbG Frankfurt/Oder hat darüber hinaus auch einen Vertrauensschutz in die Tariffähigkeit einer Vereinigung abgelehnt (ArbG Frankfurt/Oder, Urt. v. 09.06.2011 – 3 Ca 422/11). Ein Vertrauensschutz in die Tariffähigkeit werde nach der Auffassung des BAG (Urt. v. 15.11.2006 – 10 AZR 665/05) nämlich nicht geschützt.
Zu den Anforderungen, die an die Durchsetzungskraft einer Vereinigung als zwingende Voraussetzung für die Annahme einer Tariffähigkeit zu stellen sind, hat das BAG bereits im Jahre 2006 Stellung bezogen und eine grundlegende Unterscheidung vorgenommen (BAG, Beschl. v. 28.03.2006 – 1 ABR 58/04):
1. Hat die Arbeitnehmervereinigung am Tarifgeschehen bislang noch nicht teilgenommen, so lasse sich ihre Durchsetzungskraft lediglich auf der Basis einer Prognose beurteilen. Erforderlich seien hierzu Tatsachen, die den Schluss rechtfertigen, die Arbeitgeberseite werde die Arbeitnehmervereinigung
voraussichtlich nicht ignorieren können. Hierfür kommen z.B. die Organisationsstärke oder die Fähigkeit, durch Arbeitnehmer in Schlüsselpositionen Druck auszuüben, in Betracht.
2. Sofern eine Arbeitnehmervereinigung bereits durch den Abschuss zahlreicher Tarifverträge in nennenswerter Weise am Tarifgeschehen teilgenommen hat, so sei diese Tatsache als Indiz für ihre grundsätzliche Durchsetzungskraft zu werten. Etwas anderes könne ausnahmsweise nur dann gelten, wenn es sich nachweislich um Schein- oder Gefälligkeitstarifverträge handeln würde.
C. Auswirkungen für die Praxis
Es zeigt sich, dass erstinstanzlich der Rechtsprechung des BAG im Hinblick auf die rechtlichen und tatsächlichen Anforderungen an die Tariffähigkeit gefolgt wird. Eine Vereinigung, die für sich Tariffähigkeit in Anspruch nimmt, hat zunächst genauestens ihre Satzung zu prüfen und satzungsgemäß zu verfahren. Für die Tarifarbeit ist unverzüglich ein Tarifstatut zu erlassen. Ferner ist zu prüfen, ob die Vereinigung über eine ausreichende soziale Mächtigkeit und Durchsetzungskraft verfügt. Hierfür sind Mitglieder- und Organisationsstärke wichtige Kriterien. Es ist schließlich davon auszugehen, dass aufgrund der nachträglichen Feststellung der Unwirksamkeit tarifvertraglicher Normen weiterhin eine Vielzahl von Individualverfahren anhängig gemacht werden wird und es zu erheblichen Ansprüchen der Sozialversicherungsträger kommen wird.
D. Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung
Klagende Arbeitnehmer werden sich auf zeitaufwendige Verfahren einstellen müssen, da es im Rahmen der Rechtsprüfung der Tariffähigkeit einer Vereinigung grundsätzlich zu einer Aussetzung des Klageverfahrens aufgrund der Zwischenschaltung eines Beschlussverfahrens nach § 97 Abs. 5 ArbGG kommen sollte. Dort sind neben den klagenden Arbeitnehmern diejenigen Personen und Stellen Beteiligte, die durch die begehrte Entscheidung in ihrer Rechtsstellung unmittelbar betroffen werden. Beteiligte am Verfahren nach § 97 ArbGG über die Tariffähigkeit einer Vereinigung sind neben dem Antragsteller diejenigen, deren materielle Rechtsstellung im Hinblick auf die Tariffähigkeit unmittelbar betroffen ist. Danach waren an dem vorliegenden Verfahren zu beteiligen als Beteiligte zu 2), die Arbeitnehmervereinigung „medsonet“, hinsichtlich derer die Tariffähigkeit streitig ist. Darüber hinaus waren zu beteiligen die Spitzenverbände, denen die Beteiligten zu 1) und 2) angehören, als Beteiligte zu 3) und 9), sowie der Spitzenverband auf Arbeitgeberseite als Beteiligter zu 13), die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, und die oberste Arbeitsbehörde des Bundes als Beteiligte zu 10), die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales. Weiterhin beteiligt wurden im Hinblick auf den als Antrag zu 3) gestellten Antrag, die Nichtigkeit bestimmter Tarifverträge festzustellen, die auf Arbeitgeberseite jeweils tarifschließenden Parteien als Beteiligte zu 4) bis 8), 11) und 12). Weiterhin waren zu beteiligen als Beteiligte zu 14), der Arbeitgeber, und 15), der
dort gewählte Betriebsrat, die Beteiligten des nach § 97 Abs. 5 ArbGG ausgesetzten Verfahrens vor dem ArbG Siegburg.

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